In Tokio gelandet, fallen wir buchstäblich aus der Zeit. Die 15 Stunden Zeitunterschied werfen uns dann doch etwas aus der Bahn. Da mutiere sogar ich zum Early Bird und stehe kurz nach Roland zwischen fünf und sechs Uhr morgens auf. Das trifft sich gut, denn in Japan geht die Sonne schon um fünf Uhr nachmittags unter.

Tokio empfängt uns erstaunlich ruhig, entspannt und leise. Das liegt auch daran, dass unsere Unterkunft in einem besonders ruhigen und, wie sich herausstellt, schönen Viertel liegt. Gleich am ersten Tag nach unserer Ankunft machen wir hier eine unserer besten kulinarischen Erfahrungen. Auf der Suche nach einem Lokal zum Mittagessen stellen wir uns dort an, wo schon einige Menschen stehen. Wir werden sehr freundlich begrüßt, müssen aber etwas warten, da wir keine Reservierung haben. Uns wird bedeutet, dass wir uns auf ein Bänkchen im Eingang setzen sollen. Bald kommt die freundliche Dame wieder und gibt uns zu verstehen, dass wir nicht mehr lange warten müssten. Dann ist es soweit und wir werden hereingebeten. Wir wollen uns sofort unserer Schuhe entledigen, da wir unsere Hausaufgaben gemacht haben und eine Anleitung für den Besuch in einem japanischen Restaurant gelesen haben. Unsere Gastgeberin winkt jedoch heftig ab. Also lassen wir die Schuhe an, setzen uns an den Tisch und bekommen sofort jeder einen Becher köstlichen Tee serviert. Wie wir später erfahren, handelt es sich um gerösteten grünen Tee und unsere Becher werden aufgefüllt, sobald sie halbleer sind. Wir sind in einem Soba Lokal gelandet. Soba sind Buchweizennudeln. Hier werden sie von Hand gerollt. Wir entscheiden uns für die heiße Variante, also die Nudeln in heißer Brühe. Dazu gibt es Fisch und Gemüse Tempura und Kimchi. Der Koch kommt persönlich aus der Küche und sagt, wir sollen die Nudeln schnell essen, damit sie sich nicht zu voll saugen, da sie ganz frisch seien. Zusätzlich bekommen wir noch Reis und nach dem Essen Soba Wasser, also das Wasser, in dem die Nudeln gekocht wurden, in welches wir etwas von unserer Brühe geben sollen und dann trinken. Köstlich! Nach dem Essen begleiten uns der Koch und seine Frau aus dem Lokal und fragen uns noch etwas aus. Sie sind ganz begeistert von unseren Reiseplänen und freuen sich, dass es uns geschmeckt hat.

Für Tokio nehmen wir uns eine knappe Woche Zeit, gerade lange genug, um sich einen Eindruck zu verschaffen. Bald stellen wir fest, dass es durchaus Orte mit mehr Menschen in Japans Hauptstadt gibt und es wird etwas wuseliger. Nach unserer Beobachtung haben es die Japaner immer eilig. Allerdings handelt es sich um eine „unhektische“ Eile und es bleibt auch bei großen Menschenansammlungen erstaunlich leise. In den Zügen und im öffentlichen Nahverkehr wird man gebeten, das Mobiltelefon auf stumm zu stellen und keine Gespräche zu führen. Gegessen werden darf nur in den Shinkansen Zügen, also in denen, die weitere Strecken zurücklegen. Zu unser aller Schande stellen wir fest, dass es nur dort, wo sich viele Touristen aufhalten, unangenehm wird. Hier ist es dann endgültig vorbei mit Ruhe, Zurückhaltung und Höflichkeit. Deshalb verlieren wir auch sehr schnell die Lust an großen Tempelanlagen, Schreinen, Buddhastatuen und anderen bei Touristen beliebten Zielen. Stattdessen spazieren wir durch die Straßen und Parks verschiedener Viertel und erschnuppern etwas vom Flair der Stadt abseits der Touristenströme. Dabei handeln wir natürlich auch einige Touristenattraktionen ab, wie beispielsweise einen Tempel in unserem Stadtviertel, die Halbinsel Odaiba, zu der wir mit der Bahn über die Rainbowbridge fahren und ein Selfie for einer Replik der Freiheitsstatue schießen und den Panoramaausblick über Tokio vom Metropolitan Government Building, der kostenlos ist und sich wirklich lohnt. Wir haben Glück und sehen sogar den berühmten Berg Fuji. Außerdem amüsieren wir uns über die Tanzgruppen im Elvis Outfit im Yoyogipark, die alle unermüdlich die gleiche Schrittkombination tanzen. Und ja, wir stürzen uns auch ganz kurz ins Gewühle auf der Kreuzung in Shibuya, wo die Leute von allen Seiten gleichzeitig gehen dürfen, aber hier funktioniert das japanische System der unhektischen Eile und der wohl geordneten Laufwege leider nicht mehr, da mittlerweile zu viele Touristen das System durcheinander bringen. Immerhin gelingt Roland ein Foto vom Straßengeländer aus, denn wir verzichten darauf, uns in den die Kreuzung überblickenden Starbucks hineinzudrängeln. Auch von der Statue des Hundes Hashiko, der noch nach dem Tod seines Herrn täglich an der Zugstation von Shibuya auf diesen gewartet hat, gelingt ein Foto, allerdings nur mit sich davor präsentierenden Touristen. Die Geschichte vom an einer Bahnstation auf seinen verstorbenen Herrn wartenden Hund ist mir übrigens schon an verschiedenen Orten begegnet.

Als sehr enttäuschend empfinden wir unseren Tagesausflug nach Kamakura mit der kleinen vorgelagerten Insel Enoshima. Die Touristenströme hier erinnern uns an unsere Erfahrungen in Cinque Terre und verleiden uns den Tempel mit der riesigen Buddhastatue. Ganz nett ist die Fahrt mit dem kleinen Zug auf die Insel und der Spaziergang über dieselbe. Allerdings müssen wir uns auch hier durch die Touristenmassen kämpfen. Highlight des Tages ist der Abschluss des Ausfluges in einem Teehaus, in dem wir unsere Akkus mit Matchalatte und Matcha Tiramisu aufladen, ein wunderbar grüner und köstlicher Energiekick.

Kulinarisch erleben wir überhaupt viele Highlights und sind sehr angetan von der japanischen Küche. Wir werden zu Suppenliebhabern und probieren uns durch mehrere Ramenlokale durch. Die Nudelsuppe stammt eigentlich aus China, ist aber auch hierzulande sehr beliebt und einige japanischen Köche und Köchinnen haben sich darauf spezialisiert und ihre eigene Variante kreiert, von der traditionellen Version mit Schweinebrühe und -fleisch zur Version mit Huhn oder Ente bis zur vegetarischen Variante mit Tofu und Gemüse. Mein Favorit bleibt die Suppe mit Soba, wobei es Soba Nudeln auch als kaltes Gericht gibt. Hier werden die kalten Nudeln in verschiedene Dips oder auch eine Brühe getunkt und meist mit Gemüse und Garnelen Tempura serviert. Natürlich fehlt auch Sushi nicht auf unserem Speiseplan und Dank meiner lieben und inspirierenden Yogaausbilderin und Japankennerin, die uns viele wertvolle Tipps gegeben hat, landen wir in einem exzellenten und sehr zu Rolands Freude überaus günstigen Running Sushi Lokal, in dem wir uns die Bäuche mit einer vorher nie gekannten Auswahl an rohem Fisch voll schlagen und Matcha Tee bis zum Abwinken trinken. Der Matcha Tee wird überhaupt zu einer neuen Passion und ersetzt den so geliebten nachmittäglichen Cappuccino. Oft können wir auch nicht widerstehen und probieren eine der für uns ungewöhnlichen, aber durchaus leckeren japanischen Süßigkeiten dazu. Sehr beliebt sind hier zum Beispiel süße rote Bohnen als Paste, Soße oder Kompott, oft als Füllung. Vor allem die vielen Kreationen mit Matcha, so auch das Matcha Eis haben es uns angetan. Eine besonders schöne Teeerfahrung machen wir in einem sehr geschmackvoll gestalteten Teehaus eines Künstlers. Er serviert uns perfekt aufgeschlagenen Matcha in selbst gefertigten Tonschüsseln und wir sitzen auf von ihm gezimmerten Holzmöbeln. Leider kann er uns keinen Käsekuchen servieren, da wir an einem Freitag hier sind und seine Tochter den Kuchen nur samstags und sonntags bäckt. Wie schade! Aber die Käsekuchenerfahrung kommt später. Insgesamt sind wir sehr positiv überrascht, wie preisgünstig und gut es sich in Japan speisen lässt.

Bei unseren Spaziergängen durch die Stadt fällt uns auf, wie gut organisiert und wie diszipliniert es hier zugeht. Roland ist zum Beispiel ganz angetan von den vergleichsweise kleinen Autos, die exakt in den Parkmarkierungen parken. Da Linksverkehr herrscht, geht man auch als Fußgänger für gewöhnlich links. Auch hier freut sich Roland, dass sich viele Menschen an diese Regel halten. Als ich einwerfe, dass uns aber auch Japaner auf der von ihnen aus gesehenen rechten Seite entgegenkommen, entgegnet Roland, er sei eben japanischer als die Japaner. Diese begegnen uns im Übrigen überaus höflich und hilfsbereit. Oft werden wir angesprochen und gefragt, ob wir Hilfe brauchen oder wir werden freundlich begrüßt und gefragt, wo wir herkämen. Dabei ist die Verständigung gar nicht so einfach, denn die englische Sprache ist in Japan eher wenig verbreitet und wird, wenn überhaupt, nur sehr bruchstückhaft gesprochen. Hier behelfen wir uns mit dem Google Übersetzer (Rolands Methode und auch bei vielen Japanern durchaus beliebt) und Händen und Füßen (meine Methode). Was uns allerdings sehr befremdet, ist der offensichtlich allgemein übliche Umgang mit Hunden. Sie werden angezogen, frisiert und in Kinderwägen geschoben oder Tragegurten getragen. Das gilt nicht nur für kleine Hunde, auch ein Golden Retriever wird gerne im Buggy Gassi gefahren.

Gut, dass wir einige Tage in Tokio haben, um uns einzugewöhnen, denn es folgen zwei aufregende Wochen Japan Rundreise: Die erste Station ist Nagoya, wo wir eine schöne Burg aus der Edozeit besichtigen und abends durch das moderne, sehr ästhetische Stadtzentrum schlendern, bevor wir in einer urigen Bar im Tapasstil zu Abend essen. Diese Art von Restaurants nennen sich Izakaya Lokale und es geht oft zu wie in einer spanischen Tapasbar. Man bestellt kleine Gerichte, die man auch gut teilen kann, trinkt allerdings üblicherweise Bier. Bier wird übrigens in Japan recht gutes gebraut und sogar ich als eingefleischte Weintrinkerin kann dem frisch gezapften etwas abgewinnen.

Am nächsten Tag geht es schon weiter nach Takayama, einem Ort mit traditionellen Holzhäusern, die malerisch an einem Fluss liegen. Hier verbringen wir eine Nacht in einem Ryokan und werden ausführlich in einige japanische Traditionen eingeweiht. Zunächst gibt es einen Tee und eine Süßigkeit zur Begrüßung. Dann wird uns erklärt, wie und wann wir den Yukata, einen einfacheren Kimono tragen können und wie man sich im Bad, dem Onsen verhält. Hier werden Frauen und Männer streng getrennt und müssen sich jeweils gründlich waschen, bevor sie in das sehr heiße Bad steigen dürfen. Abends gibt es ein köstliches neun Gänge Menü und am nächsten Morgen ein ebenso gutes Frühstück nach japanischer Tradition.

Entsprechend entspannt, satt und sauber reisen wir am folgenden Tag weiter nach Kanazawa in die alte Samurai Stadt. Ein Samurai begegnet uns hier zwar nicht, aber wir haben eine ausgesprochen schöne Unterkunft mit Tatamiraum und Futonbetten, besichtigen einen sehr schön angelegten japanischen Garten, eine rekonstruierte Burganlage und das alte Geishaviertel mit traditionellen Holzhäusern.
Später erfahren wir, dass fast alle Burgen durch Krieg oder Feuer zerstört wurden und deshalb die meisten Rekonstruktionen sind, allerdings recht kunstvolle und meist in der originalen Bauweise. So werden zum Beispiel für Holzkonstruktionen keine Schrauben oder Nägel verwendet, sondern die Hölzer passend zugeschnitten und dann ineinander gesteckt. Ganz passend zu diesem Thema besichtigen wir hier auch das Karakuri Memorial Museum, in dem uns eine Puppe vorgeführt wird, die durch eine ausgeklügelte Mechanik Tee serviert, indem sie auf den Teedurstigen zuläuft, bis dieser die Teetasse vom Tablett nimmt und erst weiterläuft, wenn die Teetasse wieder auf ihrem Tablett landet. Das Museum ist dem Karakuri Künstler Benkichi Ohno aus der Edozeit gewidmet. Hier kann man nicht nur die mechanischen Karakuri Puppen bewundern, sondern sich auch an allerhand Geduldspielen aus Holz a la Tangram ausprobieren. Das Gebäude besticht durch seine Architektur und wurde von Syozo Uchii, einem der berühmtesten japanischen Architekten entworfen. Es ist ein rundes Gebäude aus Holz und erinnert damit an die Karakuri Kunst.

Die nächste Station ist Kyoto. Eine Hauptattraktion hier ist der Bahnhof, den wir auch gleich bei unserer Ankunft auf der Suche nach dem richtigen Ausgang ausführlich inspizieren. Die Architektur ist beindruckend und besonders interessant sind der Skyway, eine Glasröhre in luftiger Höhe, von der aus man einen guten Ausblick auf die Stadt hat und die lange breite und bunt beleuchtete Treppe, die zu diesem führt.
Überhaupt sind die zentralen Bahnhöfe der großen Städte beeindruckend, riesig, Einkaufszentrum, Restaurantmeile und Verkehrsknotenpunkt in einem. Manches Mal fällt es uns nicht ganz leicht, uns auf Anhieb richtig zu orientieren und wir geraten doch etwas in Hektik, um den nächsten Anschluss zu erwischen. Erstaunlicherweise klappt es dann aber doch immer. Die Züge fahren oft, schnell und sind im Vergleich zu unserer Deutschen Bahn äußerst komfortabel.
In Kyoto besichtigen wir außerdem den Inari Schrein mit 1000 roten Toren und erklimmen den Inari Berg. Großen Spaß macht uns eine Fahrradtour im nahegelegenen Nara, die wir als Entdeckung über Airbnb gebucht haben. Unser Guide Hiro führt uns und ein Paar aus San Francisco per Drahtesel abseits der Touristenmassen am Fluss entlang, zum Buddha Tempel, in den dazugehörigen Park, um Rehe zu füttern und zu einer fünfstöckigen Pagode, die wir noch in ihrer ganzen Pracht bewundern können, bevor sie für ganze acht Jahre zur Renovierung verpackt wird. Zwischendurch unterhalten wir uns mit Hiro über alle möglichen Themen. Als wir ihm erzählen, wie sehr wir die höfliche und zurückhaltende Art seiner Landsleute schätzen, entgegnet er, dass genau dieser Charakterzug der Grund dafür sei, dass Japan wirtschaftlich auf der Strecke bleibe. Hier brauche man Ellenbogentaktik, die an den hiesigen Wirtschaftsschulen nicht gelehrt werde. Stattdessen werde ihnen beigebracht, immer einen Schritt zurückzutreten. Leider hat er wohl recht: „Bescheidenheit ist eine Zier, doch weiter kommt man ohne ihr.“ Eine Diskrepanz, die uns doch sehr nachdenklich stimmt. Abschluss der Tour ist eine Sake Verkostung mit einigen japanischen „Tapas“.

Weiter geht es nach Osaka. Hier verbringen wir nur einen Tag mit gleich zwei kulinarischen Highlights. Hiro hat uns ein Lokal für japanischen Käsekuchen in Osaka empfohlen. Da wir diesen unbedingt probieren wollen, nehmen wir die Wartezeit von fast einer Stunde auf uns. Übrigens ist es ein sehr gängiger Brauch Schlange zu stehen oder zu sitzen, bevor es zum Essen geht. Entweder meldet man sich persönlich an und setzt oder stellt sich in die Warteschlange, oder man trägt sich auf einem iPad ein und wird per Link benachrichtigt. Ob der langen Wartezeit plädiert Roland dafür, dass wir gleich einen ganzen Käsekuchen bestellen und uns nicht mit einem Viertel für jeden begnügen. So kommen wir in den Genuss einer kleinen Zeremonie. Der Käsekuchen kommt unter einer silbernen Haube daher, es wird ein Glöckchen geläutet, der Kuchen einmal durchgeschüttelt und dann wird die Haube gelüftet. Der Kuchen ist noch warm, ohne Boden und ganz fluffig, fast wie ein Soufflé. Himmlisch! Frisch gestärkt machen wir uns auf den langen Spaziergang zurück zum Hotel. Diesmal laufen wir etwas entspannter durch eine große Hauptstraße, während wir uns auf dem Hinweg mit vielen anderen durch eine kilometerlange überdachte Einkaufsmeile gedrängelt haben. Osaka, so erklärt es uns der nette Herr am Empfang des Hotels, ist die Einkaufsstadt schlechthin und er ist fast etwas betrübt, als wir ihm erklären, dass wir nicht zum Shoppen hier sind, sondern lediglich etwas Stadtflair schnuppern wollen. Das haben wir nun zur Genüge getan und wir beschließen den Abend mit einem weiteren kulinarischen Highlight in einer Austernbar, in der wir Austern aus verschiedenen Gegenden Japans probieren.

Weiter geht es nach Miyajima, einer Insel vor Hiroshima. Hier besteigen wir den Berg Misen und machen unsere zweite Ryokanerfahrung, die auch schön ist, allerdings nicht mit der ersten in Takayama mithalten kann. Es gibt weniger Erklärung, was für uns nicht so entscheidend ist, da wir aus dem ersten Ryokan wissen, wie es geht, aber auch Essen und Ambiente halten dem Vergleich mit Takayama nicht stand. Etwas enttäuscht sind wir von unserem Zimmer, das im westlichen Stil, statt im von uns gebuchten japanischen eingerichtet ist. Denn der Plan war: Wenn Japan, dann richtig. Trotzdem genießen wir den kurzen Aufenthalt hier sehr und schlafen auch in den „hohen“ Betten gut.

Von Miyajima aus ist es nur ein Katzensprung mit der Fähre nach Hiroshima und da unsere Unterkunft in Hafennähe ist, können wir sogar von der Schiffsanlegestelle laufen. Hier haben wir ein kleines Reihenhaus für uns und finden es fast schade, dass wir nur zwei Nächte gebucht haben. Die Stadt beeindruckt uns sehr. Mit sieben Flüssen, beziehungsweise Flussarmen ist sie sehr wasserreich und ein Großteil der Uferstrecken ist schön gestaltet. Da wir in Nara so gute Erfahrungen mit der gebuchten Airbnb Entdeckung zu Fahrrad gemacht haben, haben wir auch hier wieder eine Fahrradtour gebucht. Unser Guide Kozo führt uns durch den Peace Memorial Park. Mit seiner sehr ruhigen und respektvollen Art bringt er uns den grauenvollen Teil von Hiroshimas Geschichte näher und beschreibt anhand einiger Denkmäler und persönlicher Geschichten die Auswirkungen des Atombombenabwurfes am 8. August 1945. Trotz der schrecklichen Vergangenheit herrscht eine hoffnungsvolle und positive Stimmung und die Stadtbewohner nennen ihre Heimat „die Stadt des Friedens“. Eine der ergreifenden Geschichten handelt von dem Mädchen Sadako Sasaki, die im Alter von 2 Jahren den Atombombenangriff überlebte, aber zehn Jahre später an Leukämie erkrankte und daran starb. Im Krankenhaus faltete sie noch über 1000 Papierkranich nach Origamikunst, da einer alten japanischen Legende nach demjenigen, der 1000 Origami-Kraniche falte, von den Göttern ein Wunsch erfüllt würde. Nun steht der Papierkranich für den Frieden und wird millionenfach als Friedenssymbol gefaltet und zum Beispiel von Schulklassen zu dem ihr gewidmeten Denkmal gebracht.
Kozo zeigt uns auch noch ein rekonstruiertes Schloss, einen Tempel, einige Schreine und erklärt uns den Unterschied zwischen den beiden letzteren. In einen Tempel geht man fast ausschließlich für Beerdigungen, zu den Schreinen eher, um das Leben zu feiern. So gehen zum Beispiel Eltern mit ihren Kindern zu einem Schrein, um deren drittes, fünftes und siebtes Lebensjahr zu feiern. Sehr üblich ist es auch, sich einen Wunsch zu „kaufen“. Man spendet Geld, indem man eine Karte, oder ein Holzbrettchen kauft, schreibt einen Wunsch darauf und hängt das beschriftete Objekt an eine dafür vorgesehene Wand. Wir denken es uns und Kozo spricht aus, dass diese Bräuche mittlerweile sehr kommerziell sind.
Am Ende unserer Tour mit Kozo nimmt er uns mit zu sich nach Hause und zeigt uns, wie man Okonomiyaki, japanische Pfannkuchen mit Füllung macht. Dabei bekommt jeder von uns eine Kochstelle, eine Pfanne und alle Zutaten und dann startet das Kochduell. Roland schlägt mich eindeutig bei der Herstellung des dünnen Crepebodens, aber es gelingt alles wunderbar. Nach dem Essen verabschieden wir uns von Kozo, spazieren noch etwas durch den Peace Memorial Park und das Stadtviertel und schauen uns auf Kozos Empfehlung hin noch eine Ausstellung in einem Haus an, in dem ein Man den Bombenangriff überlebt hat, weil er zufällig zu dem Zeitpunkt Unterlagen im Keller suchte.
Schlimm, dass trotz aller Mahn- und Denkmäler und schrecklicher Kriegserinnerungen der Krieg in unserer Welt allgegenwärtig ist. Es bleibt die Hoffnung auf friedliche Zeiten und der Wunsch nach Verständigung, Respekt und Toleranz zwischen den Völkern.

Den nächsten und letzten Tag unserer Japanreise verbringen wir im Zug nach Tokio und staunen wieder einmal, wie reibungslos alles klappt. Am späten Nachmittag checken wir in einem Hotel in Flughafennähe ein, denn am folgenden Morgen soll es in aller Frühe zum Flughafen und über Singapur nach Kambodscha gehen. Als uns die Dame an der Hotelrezeption fragt, woher wir kämen, schauen wir uns fragend an. Wir haben beide ein Blackout und müssen im Kalender nachschauen, dass wir aus Hiroshima gekommen sind. Da gerät unserer Rezeptionistin aus der Fassung und beginnt zu kichern. Ich murmele, wir seien etwas verwirrt. Nun ist es uns also wirklich wie dem Indianer gegangen, der nicht mit dem Zug fahren wollte, weil er befürchtete, seine Seele würde so schnell nicht mitkommen.

Japan war für uns eine faszinierende neue Welt und wir werden sicher noch lange von den vielen wunderbaren Erlebnissen zehren und noch eine Weile brauchen, um alle neuen Eindrücke zu verarbeiten.


Fußnote:
Als Edo-Zeit (japanisch 江戸時代, Edo jidai), genannt auch Jedo-Periode, oder Tokugawa-Zeit wird der Abschnitt der japanischen Geschichte von 1603 bis 1868 bezeichnet, in dem die Tokugawa-Shogune herrschten. Die Edo-Zeit ist benannt nach dem damaligen Namen der Hauptstadt, Edo (heute Tokio). Sie beinhaltet die längste Friedenszeit der japanischen Geschichte (auch als Pax Tokugawa bezeichnet) mit einer Dauer von mehr als 250 Jahren. (https://de.wikipedia.org/wiki/Edo-Zeit)