Die Fahrt im Mietwagen von Ohio nach Norden ist sehr entspannt.
In Ludington angekommen, entdecken wir jedoch gleich wieder die Vorzüge des Laufens und unternehmen einige kleine Wanderungen im Ludington State Park, wo wir die wunderschöne abwechslungsreiche Naturlandschaft aus Seen, Flüssen, Wäldern und Sanddünen bestaunen und genießen. Auch die Tiere fühlen sich hier sichtlich wohl und wir begegnen Fröschen, Eichhörnchen, Streifenhörnchen und Rehen. Von den Bibern sehen wir allerdings nur die Spuren in Form von angenagten Bäumen.
Ludington selbst ist ein sehr beschaulicher Ort, der alles bietet, was wir brauchen und gleich mit mehreren Stränden und Leuchttürmen aufwartet. Da wir uns hier auf der Ostseite des Lake Michigan befinden, ist der Ort ideal, um Sonnenuntergänge anzuschauen, was wir mehrfach tun, beispielsweise während eines Spaziergangs auf dem Pier zum Leuchtturm.
Außerdem finden wir ein Café, in dem es einen Cappuccino gibt, der ausgesprochen gut ist (wenn ihn die richtige Person zubereitet) und der auch nur in einer (normalen) Größe verfügbar ist. Das ist erstaunlich, denn bisher war der Cappuccino in mindestens drei Größen wählbar, wobei die mittlere Größe uns schon sehr groß erschien und die größere das Fassungsvermögen eines Eimers hatte. Einen Nachteil hat unser Lieblingscafé allerdings doch. Offiziell schließt es um 17 Uhr. Das Personal ist jedoch offensichtlich sehr bemüht, auch wirklich um 17 Uhr den Laden verlassen zu können, weshalb spätestens um 16:40h mit dem Staubsaugen begonnen wird, was dann die Gemütlichkeit des Kaffeetrinkens ein wenig einschränkt. Wir machen das Beste daraus, nehmen den Cappuccino to go und setzen uns nach draußen. Nur schade, dass es dann keine Porzellantassen mehr, sondern wieder die gewohnten Pappbecher gibt.
Als ein ganz besonderer Laden entpuppt sich „Sexy Nomad“. Schon von außen spricht uns das Gebäude an, das einmal ein Theater war. Außerdem erregt der Name unser Interesse und wir wollen wissen, was dieses Geschäft zu bieten hat. Sofort werden wir sehr herzlich von der Inhaberin Lola begrüßt und in ein intensives Gespräch verwickelt. Ihre Waren bestehen aus einem spannenden Sammelsurium aus Vintage-, größten teils Armeekleidung, Gegenständen, Schmuck und vielem mehr. Wir verlassen den Laden mit einer Menge Tipps, was wir alles in der Region unternehmen können und dem Angebot, wiederzukommen, wenn wir noch nähere Informationen brauchen. Dieses Angebot nehmen wir an und schauen am folgenden Tag noch einmal im „Sexy Nomad“ vorbei. Diesmal ist auch Ryan, Lolas Geschäftspartner und Freund da, von dem eine Fotoausstellung im Laden zu besichtigen ist. Er antwortet sehr ausführlich auf meine Frage, warum hier so viel Armeekleidung zum Verkauf steht: Hierfür gibt es einige Gründe. Der Hauptgrund ist die Haltbarkeit der Stoffe und die Qualität ihrer Verarbeitung. Mittlerweile werden diese Merkmale wieder von der Kundschaft geschätzt. Kleidung in solcher Qualität wird aber kaum noch hergestellt. Lola wirft ein, dass Arbeiterkleidung, zu der auch Armeekleidung gehört, in der Modewelt wieder hoch angesagt ist. Als Beispiel nennt sie Jessica Parker, die in der Serie „Sex and the City“ einen Armee Overall mit High Heels trägt und damit laufstegfähig macht. Außerdem, sagt Ryan, sei das Tragen von Armeekleidung in den USA zwar als Wertschätzung der Soldaten, aber gleichzeitig eher als Ausdruck der Kritik am Krieg zu sehen. Diese Phänomen ist nicht neu, sondern trat schon in den 70er Jahren zu Zeiten des Vietnamkrieges auf. Insgesamt ein kontroverses Thema, das wir dann nicht weiter vertiefen.
Siehe auch: https://www.esquire.de/style/modetrend-militaerkleidung-vintage
Diesmal verbringen wir über eine Stunde mit Lola und Ryan und erhalten noch viele wertvolle Tipps für unseren Aufenthalt. So empfiehlt uns Lola einige Anlaufpunkte in Traverse City, einem weiter nördlich am Seeufer gelegenen Ort: Los geht es mit dem Farmer‘s Market (Hier schlägt meine Herz höher und Roland erinnert sich seufzend an unsere zahlreichen Besuche von Farmer‘s Markets in Neuseeland und den damit verbundenen Zeitaufwand, gibt sich aber geschlagen und glücklicherweise ist dieser Markt ein sehr kleiner und wir haben ihn in weniger als 30 Minuten vollständig erkundet. Anschließend gönnen wir uns einen Mittagsimbiss (Lunch) in Form einer zünftigen Brotzeit im „Farm Club“, etwas außerhalb von Traverse City, um dann wieder zurück in die Stadt zu fahren und dort noch durch „The Village“, ein uriges Einkaufszentrum in einem ehemaligen Krankenhaus mit kleinen Geschäften und schließlich durch das Zentrum von Traverse City zu bummeln. Hier tut es uns die „Cherry Republic“ an, ein Laden, in dem man regionale Produkte nicht nur käuflich erwerben, sondern sehr zu Rolands Freude auch kostenlos probieren kann. Nachdem wir alle sechs Cherrysalsas durchprobiert und immer wieder gegengecheckt haben, entscheiden wir uns schließlich für die „extra hot“ Variante und nehmen auch gleich noch eine Tüte getrocknete Kirschen mit. Da der Laden ja nun an uns verdient, sehen wir es als absolut legitim an, uns noch einmal durch die Produkte durchzuprobieren und befinden, dass hier wirklich gut Kirschen essen ist, wenn auch getrocknet, oder zu Salsa verarbeitet.
Nicht nur Lola ist voller Ideen, was wir alles in der Umgebung unternehmen könnten, auch Ryan steuert wertvolle Tipps bei. Er empfiehlt uns einen besonders schönen Wanderweg im Nationalpark, der uns dann auch wirklich sehr begeistert. In diesem Zusammenhang sprechen wir auch über die exzessive Nutzung der Autos und Ryan freut sich besonders über Rolands Aussage: „We are made for walking, not for sitting in the car.“ und überlegt gleich, wie er dieses Zitat in Szene setzen könnte. Interessanterweise bestätigt Ryan unseren Eindruck von dem Café, dass es in der Gastronomie Ludingtons sehr darauf ankommt, wer gerade in der Küche steht und empfiehlt uns nur ein Restaurant mit gleichbleibender Qualität, welches jedoch unser Budget übersteigt, weshalb wir es nicht ausprobieren. Weitere Tipps sind ein besonderer Ort, der „Peter Pan land“ genannt wird, um den Sonnenuntergang zu beobachten und ein Strand der nur wenig besucht ist. Wir probieren beides aus und treffen Lola und Ryan mit Freunden zufällig an einem Nachmittag am Strand, an den sie zum Zwecke eines „skinny dips“ (Nacktbaden) gekommen sind. Wir berichten ihnen von unseren tollen Erfahrungen aufgrund ihrer Tipps und verabschieden uns herzlich.
An unserem vorletzten Tag in Michigan treffen wir uns mit Rory, den wir erst vor kurzem in München kennengelernt haben. Rory organisiert und begleitet den Schüleraustausch zwischen der High School in Grand Haven und dem Thomas-Mann-Gymnasium in München, der Schule, an der ich arbeite. Wir treffen uns also in dem von uns aus südlich am Seeufer gelegenen Grand Haven zum Lunch. Rory zeigt uns die Stadt, den Pier mit Leuchtturm und die Schule, bevor er uns in seinen Wohnort Grand Rapids mitnimmt, wo wir nach einem köstlichen Affogato Stopp – Hier hat sich doch tatsächlich eine Eisdiele darauf spezialisiert, das (wohlgemerkt aus Ludington stammende) Eis mit einem Espresso zu übergießen – die Sightseeingtour fortsetzen und nebenbei noch einige Kunstwerke des ArtPrize Festivals bestaunen. Zum buchstäblich krönenden Abschluss läuten wir den Abend zunächst mit einem Drink in einer Rooftop Bar ein und lassen ihn in einer Bar in Grand Haven mit mexikanischem Essen ausklingen.
Gut, dass uns noch ein Tag in Ludington bleibt, um alle neuen Eindrücke zu verarbeiten, bevor wir weiter nach Chicago fahren. Sogar ein kurzes Bad im Lake Michigan ist noch drin. (Kein Skinny Dip.)
Auf dem Weg nach Chicago legen wir, Rorys Empfehlung folgend, einen Stopp in Saugatuck ein, einem bezaubernden, sehr schmucken kleinen Ort noch etwa weiter südlich am Seeufer. Nach einem weiteren kurzen Kaffeestopp in St. Joseph verlassen wir das Ostufer des gewaltigen Sees und kommen schließlich in Chicago an.
Chicago zieht uns sofort mit seiner Vielseitigkeit in seinen Bann. Gleich am ersten Tag spazieren wir ein Stück an der langen Promenade am Seeufer entlang und staunen wieder über diesen See, der eher wie das Meer daherkommt. Bei einer kurzen Stadtführung erfahren wir Interessantes über die Architektur einiger Gebäude und sind beeindruckt von der Ästhetik der Skyline. Eine Kuriosität am „Tribune House“ ist, dass in die Außenwände Mauerstücke aus berühmten Gebäuden von verschiedensten Erdteilen gesetzt wurden. So findet sich hier beispielsweise ein Stück aus der Berliner Mauer, eines aus dem Kölner Dom, eines aus Notre Dame und viele mehr. Allerdings wurden wohl nicht alle Stücke freiwillig gespendet, sondern auch einige einfach gestohlen. Außerdem zeigt uns unser Stadtführer den Beginn der berühmten Route 66, die beeindruckende Lobby des Palmer House und die wunderschönen Kuppeldecken aus Tiffani Glas im „Chicago Cultural Center“. In den folgenden Tagen erkunden wir die Stadtviertel Wicker Park, das uns etwas an den Kreuzberger Kiez in Berlin erinnert und Humboldt Park, ein von vielen puertorikanischen Einwanderern bewohntes und beeinflusstes Viertel. Hier flanieren wir auch ein Stück entlang des Bloomingdale Trails, ein erhöhter parkähnlich angelegter Spazier- und Fahrradweg, der allerdings nicht mit der High Line in New York mithalten kann. Im Park des gleichnamigen Stadtviertels haben wir Glück und stolpern in ein Musikfestival hinein, wo wir einer puertorikanischen Band lauschen. Das Stadtviertel Hyde Park, in dem sich auch unsere Unterkunft befindet, heben wir uns bis zum Schluss auf und stellen fest: Auch hier ist es schön, sehr grün, entspannt und es gibt den besten „Whole Foods“ Supermarkt, den wir bisher gefunden haben. Besonders praktisch finden wir die reichhaltige Salat- und Essensbar, an der wir uns nicht nur einmal bedienen, um dann gemütlich im Park oder am Strand zu picknicken. Ja, das Wetter lädt durchaus noch zum Baden ein und das Anfang Oktober. Chicago gilt unter anderem auch als „Foody Town“. Da wir jedoch noch ein ganzes Stück Reise vor uns haben, schauen wir doch etwas auf den Geldbeutel und beschränken uns auf wenige Essen in Restaurants. Aber auch hier gibt es einige erschwingliche Highlights. Der Cappuccino und die Muffins im „Caffe Umbria“ sind erste Sahne. Extra Plus: Der zweite Cappuccino geht aufs Haus, weil mich der nette Mensch an der Kasse falsch verstanden hat und bei der Bestellung einen statt zwei des köstlichen Heißgetränkes aufgegeben hat. Ein weiteres Highlight ist die Mittagspause in „Dove‘s Luncheonette“, ein Tex Mex neu interpretiert und der feineren Art. Außerdem essen wir köstliche Nudelsuppen im japanischen Ramen Lokal „Gyuro Ramen“. Auch kulinarisch präsentiert sich Chicago also sehr international.
Unsere nächste und letzte Station in den USA ist Montana. Wir landen in Great Falls, werden dort von Rolands Großcousine Christie abgeholt und herzlichst empfangen. Nach einem zünftigen Lunch mit Christies Familie in einer Bar und einem Footballspiel von Sohn Deryk fahren wir zum Great Sky Lake, wo wir mit Christie, ihrem Mann Scott und Minischnauzer Max vier Tage in der „Family Log Cabin“ residieren, unter der wir uns eine kleine Holzhütte vorgestellt haben. Holz stimmt, aber die Hütte entpuppt sich als sehr geräumiges Haus, in dem wir vier wunderschöne entspannte Tage verbringen. Scott weist Roland in die Kunst des Fischens ein und tatsächlich hat Roland bereits nach fünf Minuten eine Forelle am Haken, die er nach dem Studium eines Youtube Videos fachmännisch ausnimmt und zum Abendessen serviert. Um den See herum gibt es nur Privatgrundstücke und da wir unter der Woche hier sind, haben wir den See für uns und machen täglich eine Kajak Tour. Außerdem gehen wir alle gemeinsam spazieren, wobei Christie und Scott „Bear Spray“ mitnehmen, denn, so warnt uns Christie, Bären gibt es hier einige, hauptsächlich Braunbären, aber auch Grizzlys kommen vor und mit denen ist nicht gut Kirschen essen. Christie hat allerdings am meisten Respekt vor den „cats“, womit sie „mountain lions“, also Pumas meint. Sie erzählt uns, dass diese unsereins gerne verspeisen und notfalls zu diesem Zwecke auch vom Fahrrad holen. Mir wird es zunehmend mulmig und wir paddeln lieber auf dem See als ausgedehnte Spaziergänge durch die Natur zu unternehmen. Viel zu schnell vergeht die Zeit und schon fahren wir wieder nach Great Falls. Auch hier warten aber noch einige Highlights auf uns. Bob, ein Freund von Scott nimmt uns mit auf den Missouri River und zeigt Roland das „Fly Fishing“. Es geht an einem recht kühlen Sonntag Morgen los und wir sind froh, dass Christie uns mit heißem Tee und mich mit einem Rucksack voll warmer Kleidung versorgt hat. Aber der Himmel ist strahlend blau und bald lacht die Sonne und es wird herrlich warm. Fünf Stunden verbringen wir auf dem Boot und Roland fängt drei Fische. Auf dem Missouri River gilt allerdings das Gesetz des „catch and release“. Die Fische werden also gleich wieder ins Wasser zurück entlassen. Warum fängt man sie dann? Bob erklärt, dass auf diese Weise der Fluss gesund und das Fischereigeschäft trotzdem erhalten werden soll. Roland ist etwas enttäuscht, da wir uns schon ein königliches Fischessen ausgemalt haben, aber Bob tröstet uns und sagt, dass die Flussfische um diese Zeit sowieso nicht gut schmecken würden und die aus den Seen viel besser seien. Außerdem hat er ausgesprochen leckere Lunchpakete für uns dabei. So genieße ich die wunderschöne Landschaft, während Roland die Technik des Fliegenfischens perfektioniert. Hierbei sind zwei künstliche Fliegen an der Angelschnur befestigt. Eine größere schwimmt an der Wasseroberfläche und eine kleinere hängt am Ende der Schnur unter Wasser. Die Fische werden durch deren Bewegung und das Farbenspiel der Lichtreflexion angelockt. Hier handelt es sich um eine Wissenschaft, denn es gibt unzählige verschiedene Fliegen für verschiedene Fische und deren jeweilige Stimmung.
Die Großzügigkeit und Hilfsbereitschaft von Christie und Scott ist grenzenlos und wir werden nicht nur mit Nahrungsmitteln für unseren Aufenthalt in Great Falls, sondern auch Fahrrädern und einer Yogamatte ausgestattet. Vor allem von den Fahrrädern machen wir sehr regen Gebrauch und erkunden einen Großteil des „River Edge Trails“, ein gut ausgebauter Fahrradweg, der an beiden Seiten des Missouri Rivers entlang führt.
Außerdem treffen wir Rolands Tante und seine Cousine und erfahren Interessantes über die Familiengeschichte.
Amerika, schön war es: Wir wurden mit offenen Armen empfangen und verlassen das Land mit etwas Wehmut und gleichzeitig Vorfreude auf unser nächstes Ziel.
Dann ist es soweit und wir überqueren das nächste große Gewässer, den Pazifik.
Wie immer, toller, spannender Bericht und mega Fotos! Bin gespannt auf weitere Erlebnisse, schöne Reise weiterhin! Liebe Grüße
Wow, toller Bericht, tolle Fotos!
Freut mich, dass ihr so nett in der Family aufgenommen wurdet! In den neunziger Jahren hatte Chicago noch den Beinamen: The Windy Town. 😃, allerdings war ich im Februar dort. Sehr kalt und sehr windig.
Die Karte ist Mega! So kann man sich richtig orientieren! have a safe journey!
Wie immer: Perfekter Reisebericht in Wort und Bild – Chapeau !👏🏻 Als wäre man selbst dabei gewesen😊 Danke ! Sind schon gespannt auf den nächsten Abschnitt🍀🍀🍀
Die Bilder und der Bericht vermitteln den Eindruck, als wäre man dabeigewesen 😀
Ich bräuchte die Städte gar nicht, sondern könnte mich ausschließlich in dieser tollen Natur aufhalten. Aber eure Chicagoeindrücke sind auch toll.
Ich bin gespannt, wie es weitergeht. Alles Gute weiterhin und viele tolle Begegnungen und Eindrücke.
Toller Bericht und beeindruckende Bilder, z.B.die Skyline von Chicago, oder der sexy nomad Laden. Der Ludington State Park wäre mein Highlight. Die Datsche und die schöne Natur bei den Grizzlybären sind auch nicht schlecht. Aber ich hätte auch den Aufenthalt auf dem Wasser vorgezogen und dem Bear Spray nicht so wirklich vertraut.
Das sind wunderbare Reiseeindrücke! Weiter eine gute Reise, bin schon gespannt auf Japan.