„Reisen macht bescheiden. Es lässt dich erkennen, was für einen winzigen Platz in der Welt du einnimmst.“
Gustave Flaubert

Um nach China einreisen zu dürfen, nutzen wir das 144-Stunden-Visum, das man direkt beim Check-In beantragen kann. Diese Möglichkeit ist relativ neu und das Prozedere am Flughafen dauert entsprechend lange. Nach knapp einer Stunde dürfen wir endlich zum Ausgang und werden von meiner Tante herzlich in Empfang genommen. Und gleich geht es los zum Longhua Tempel, dessen Gründung angeblich auf das Jahr 242 zurück geht. Dann fahren wir „nach Hause“, das heißt in das Haus, in dem mein Onkel nun für drei Jahre mit seiner Familie leben wird. Das Haus befindet sich in einem am Stadtrand gelegenen Compound, der wie ein kleiner Park angelegt ist. Ich freue mich zu sehen, dass es meiner Familie hier gut geht. Die drei haben sich gut eingelebt und fühlen sich wohl.
Schnell stellen wir fest, dass Shanghai eine Stadt der Superlative ist. Zwar gibt es hier nicht mehr den höchsten, dafür aber den zweithöchsten Turm der Welt, den Shanghai Tower, den wir besteigen. Das heißt, wir werden mit dem superschnellen Fahrstuhl in circa 30 Sekunden 500 Meter hoch befördert. Besonders beeindruckend finden wir den Abendspaziergang am Bund entlang, einer Hafenpromenade gegenüber der bunt beleuchteten Skyline von Pudong. Die Metropole Shanghai entwickelt sich in einer rasanten Geschwindigkeit. Große Bauvorhaben werden zügig geplant und durchgeführt. Auch hier ist die Verwestlichung deutlich spürbar. So gibt es mittlerweile exklusive Restaurants mit internationalem Angebot. Nur bei der digitalen Kommunikation muss man sich auf die chinesische Chat-Variante umstellen, da die westliche nur sporadisch funktioniert. Dafür funktioniert hier mit WeChat alles, vom Kommunizieren bis zum Bezahlen. Skurril mutet der Hochzeitsmarkt im People’s Park an. Es handelt sich um eine nicht-digitale Partnerbörse, auf der heiratsfähige Frauen und Männer meist von ihren Tanten mittels auf Regenschirmen befestigter Steckbriefe angeboten werden. Während meine Tante und Roland begeistert versuchen, das bunte Treiben fotografisch festzuhalten, finde ich die Menschenmassen etwas beklemmend und suche das Weite. Abends werden wir Zeugen, wie tanzwütige Shanghaier auf einer Parkpromenade zu chinesischen Popklängen das Tanzbein schwingen. Der Tanzstil sieht nach einer Mischung aus Tango und gehüpftem Diskofox aus und ist bezaubernd anzusehen. Wir besichtigen noch den Jingan Temple, mitten im Zentrum und schlendern durch das coole „In-Viertel“ French Concession. Außerdem lassen wir uns von einer hier ansässigen Deutschen durch den Yu Garden führen. Maja führt uns nicht nur durch den Garten, sondern gibt uns eine ausführliche und sehr interessante Einführung in die chinesische Kultur. So erfahren wir zum Beispiel die Bedeutung der Farben rot und gold, die für Wohlstand und Glück stehen. Deshalb sind die Brautkleider in China rot. Auch der Fisch, vor allem der Goldfisch hat diese symbolische Bedeutung und wird deshalb gerne in Teichen und Aquarien gehalten. Ebenso bedeutet der Drache Glück. Er ist ein Fabelwesen, das aus der Interpretation von Wolkenformationen entstanden ist und schon den frühen Landwirten Chinas den wertvollen Regen brachte. Gärten, so erzählt uns Maja, werden in China nicht angelegt, sondern gebaut. Begonnen wird der Bau mit Häusern, Steinen und Mauern, die einzelne Abschnitte begrenzen. Die rohen, unbeschlagenen Felsen sollen das Gebirge symbolisieren. Als Pendant gehört immer ein Gewässer dazu, Symbol für den Ozean. Die Abschnitte eines chinesischen Gartens sind meist klein, sollen aber das Große symbolisieren. In den begrenzenden Mauern gibt es immer Fenster und Türen, die den Rahmen für den Durchblick bilden. Es gibt keine freie Sicht. Immer steht ein großer Stein als Sichtschutz im Eingang. Denn man glaubt, dass Geister nur geradeaus gehen können und so verhindert wird, dass sie in den Garten gelangen und dort ihr Unwesen treiben. Zumindest würden sie sich heftig die Nase stoßen. Aus demselben Grund werden Brücken nicht gerade, sondern im Zickzackstil gebaut. Erst ganz am Schluss der Gartengestaltung werden Pflanzen ergänzt. Ein chinesischer Garten wächst mit der Zeit und braucht mindestens 300 Jahre, um zu reifen. Staunend und reich an Wissen, verlassen wir den Garten wieder und sehen nun Vieles mit anderen Augen.
Schließlich machen wir noch einen Ausflug in das Wasserdorf Zhujiajiao, einen Ort, der mit seinen Wasserstraßen und den Gondelbooten sehr an Venedig erinnert. Wären nicht die anderen Touristen, könnte man sich in eine andere Zeit zurückversetzt fühlen. Die niedrigen Häuser mit Pagodendächern und die vielen alten Brücken hinterlassen einen bezaubernden Eindruck.
Und schon ist der letzte Tag unserer Weltreise angebrochen, den wir entspannt im Haus meiner Familie verbringen und noch einmal die Reise Revue passieren lassen.
Wir wurden oft gefragt, wo es uns am besten gefallen hat und haben uns jedes Mal schwer mit der Antwort getan. Alle Orte hatten etwa für sich und überall gab es etwas, das uns am Umsiedeln hindern würde. Was bleibt, ist der Eindruck einer wunderbaren Reise und ein neu gewonnener Reichtum an Erfahrungen.

Unser Lieblingsessen: Roland hat keinerlei Berührungsängste, was das chinesische Essen angeht und probiert gerne alles, was authentisch chinesisch aussieht. Bei mir sieht es anders aus und ich halte mich lieber an das, was sich zumindest rudimentär identifizieren lässt. Wirklich schmackhaft sind Dumplings, die sehr an Maultaschen erinnern, in verschiedenen Varianten.

Unser Lieblingsdrink: grüner Tee und frisch gepresste Säfte.

Verwendeter Reiseführer: meine liebe Tante, die uns unermüdlich als begeisterte und begeisternde Stadtführerin zur Seite stand.