Zwei Jubilare, ein Weihnachtsfest, das wir mangels Anwesenheit unsererseits nicht mit der Familie feiern konnten, genug Grund für eine gemeinsame Reise nach Apulien! Also machen wir, Roland, meine Eltern und ich uns am ersten Juni auf den Weg gen Süden. Genauer gesagt, meine Eltern starten schon einen Tag vorher in Berlin, legen einen Zwischenstopp in Bayreuth ein und holen uns dann in München ab, von wo aus wir weiter fahren bis Brixen. Das Glück ist mit uns, denn in Süddeutschland ist Land unter und wir entkommen gerade noch schweren Unwettern und weiträumigen Straßensperren.

In Brixen ist es für die Jahreszeit noch etwas kühl, aber sehr schön und wir schlendern gemütlich durch die Altstadt, um zum Abendessen im stilvollen Traubenwirt zu landen, wo wir uns bei Pizza und Gnocchi kulinarisch schon mal auf Italien einstimmen können. Untergekommen sind wir in einem sehr geschmackvoll restaurierten Haus aus dem 15. Jahrhundert, das erst kürzlich zu einem kleinen, aber feinen Hotel umgestaltet wurde, dem Lasserhaus Arthotel.

Am nächsten Tag geht es auch schon weiter zur eigentlich ersten Station unseres Roadtrips: Novellara. Ein Volltreffer, was unsere Unterkunft und Gastgeberin angeht. Wir wohnen in einem schönen, geräumigen und gut ausgestatteten Haus. Gastgeberin Morena empfängt uns mit einem Imbiss, einem Prosecco frizzante rosso und versorgt uns unermüdlich mit Empfehlungen, von denen wir so viele befolgen, wie in die zwei Tage unseres Aufenthalts hineinpassen. So schauen wir uns die Orte Correggio und Carpi an, wobei es uns Carpi mit dem drittlängsten Platz Italiens besonders antut.

Morena ist wirklich eine außergewöhnliche Gastgeberin, denn sie bietet uns mehrfach ihre Begleitung an und lädt am letzten Abend sogar zum Kaffee mit ihrer Familie ein.

Auf dem Weg zu unserer nächsten Station Pineto machen wir Pause in dem schönen Strandort Sirolo, auch eine Empfehlung von Morena. Der Ort liegt hoch über dem Meer und wir finden einen schönen Wanderweg zum Strand hinunter, der an die vielen Treppen in Cinque Terre erinnert. Nach Espresso und Cappuccino geht es weiter nach Pineto. Hier haben wir eine Unterkunft in ländlicher Umgebung mit wunderschöner Panoramaaussicht erwischt. Pineto selbst entpuppt sich als sehr angenehmer Strandort mit ausgezeichneten Bademöglichkeiten, die wir am nächsten Tag ausführlich nutzen, bevor wir einen Tag später weiterfahren unserem finalen Reiseziel, Lendinuso in Apulien entgegen, nicht ohne einen Boxenstopp in Barletta, wo wir in einem Park den köstlichen Kuchen verspeisen, den uns unsere Gastgeberin aus Pineto mitgegeben hat.

Was die Verpflegung angeht, erweisen sich unsere Gastgeber als ausgesprochen großzügig. Denn auch Antonio erwartet uns in Lendinuso mit einer edlen Schokoladentorte und gekühlten Getränken. Die Unterkunft trifft ebenso unseren Geschmack. Direkt am Meer lassen wir die Seele baumeln.

Wir haben Glück, Lendinuso ist noch etwas verschlafen, aber durchaus in Aufbruchstimmung. Noch ist nicht viel los. An einigen Häusern wird gebaut, am Strand gibt es noch keine Liegen mit Sonnenschirmen zur Vermietung. Vor der Tür haben wir aber eine Bar, in der es sich ausgesprochen gut speisen lässt und sogar feiern, wie wir an einem Sonntag feststellen, an dem eine Musikanlage aufgebaut wird und plötzlich lauter Leute da sind, die wir vorher nie gesehen haben. Und so vergehen die Tage sehr entspannt, mal mit mehr oder weniger Wind und immer mit hochsommerlichen Temperaturen. Ab und zu liegt ein merkwürdiger Dunst in der Luft und sorgt für eine etwas eigenartige Stimmung, aber meistens lacht die Sonne und Himmel und Meer sind strahlend blau. Etwas wehmütig wird uns bei dem Gedanken, dass auch hier bald der Massentourismus einfallen wird. Aber noch ist es für uns ein kleines Paradies.

Nach einigen entspannten Tagen machen wir einen Ausflug ins Land der Trullis und besuchen Alberobello, Locorotondo und Ostuni. Während Alberobello recht touristisch daherkommt, sind Locorotondo und Ostuni Städtchen mit weiß gekalkten Häusern und malerischen Zentren. In Alberobello beeindrucken uns die Trullibauten (1) trotz Tourismusrummel sehr und wir finden etwas abseits des Trubels ein erstklassiges Restaurant mit offener Küche, in dem wir beim Warten aufs Essen die Kunstfertigkeit des Kochs bewundern, um schließlich die hausgemachte Pasta, unter anderem die landestypischen Orecchiette zu genießen.

Und dann wird es schaurig. Wir machen einen Ausflug nach Otranto. Der schöne Küstenort mit der gut erhaltenen Burg interessiert mich besonders, weil ich mich während meines Studiums unter anderem mit der Schauerromantik, respektive „gothic novel“ beschäftigte und der erste Roman diese Genres „The Castle of Otranto“ von Horace Walpole aus dem 18. Jahrhundert eben an diesem Ort spielt. Bei Sonnenschein, einer Strandkulisse mit türkisblauem Meer und Oktopussalat in einer Fischbar lässt es sich sehr angenehm gruseln. Die Burganlage mutet recht modern an und beherbergt momentan eine Ausstellung zum Leben von Frida Kahlo und Seminarräume einer „Summer School“. Immerhin ein Raum ist dem besagten Roman und der Schauerromantik gewidmet und enthält einige Informationstafeln zum Thema. Am schönsten ist jedoch der Blick über die herrliche Bucht mit Hafen. Aber auch die Kathedrale beeindruckt uns sehr mit einem ganz besonderen Bodenbelag. Hier hat ein Mönch zwei Jahre auf den Knien verbracht, während er einen Lebensbaum aus Mosaik gelegt hat, in dem er die Geschichte der Menschheit und Tierwelt, sowie unzählige Sagen verwoben hat.

Nachdem wir Otranto ausgiebig erkundet haben, beschließen wir noch die Grotte Zinzalusa in der Nähe zu besichtigen, die sich als sehr sehenswert und interessant erweist. Wir bestaunen Tropfsteine und einen tiefen Süßwassersee. Laut unserer Führerin gibt es in einem verborgenen Teil der Grotte noch blinde Krebse ohne Panzer (da sie keine Feinde haben), Wasserfliegen und einen prähistorischen Schwamm.

Abschließend fahren wir noch nach Lecce, schauen uns die schöne Altstadt mit ihren beindruckenden Gebäuden an und essen in einer Bar direkt am historischen Amphitheater zu Abend.

Nach einem weiteren faulen Tag in Lendinuso machen wir einen Ausflug nach Gallipoli, einer Stadt an der anderen Küstenseite Apuliens am ionischen Meer. Wir haben den perfekten Tag ausgesucht, denn während in Lendinuso den ganzen Tag ein ordentlicher Wind weht, ist es hier ruhig und entspannt und wir verbringen wieder einen Tag bei bestem Wetter und leckerer Pasta in wunderschöner Umgebung. In Gallipoli finden wir vor allem die Kathedrale sehenswert, die mit beeindruckenden Wandmalereien aufwartet. Außerdem besichtigen wir noch eine historische Ölmühle, in der wir etwas über die Herstellung von Lampen- und später Speiseöl lernen und etliche Kirchen unterschiedlicher Handwerkszünfte, die wie an einer Perlenkette rund um die Altstadt am Meer aufgereiht sind. Jede Kirche wurde von einer anderen Zunft gestaltet.

Schließlich machen wir uns wieder auf den Rückweg, nicht ohne einen Badestopp, einen Stopp zum Eis essen (Am italienischen Gelato kommen wir einfach nicht vorbei.) und einem Stopp bei einem Olivenölhersteller, um etwas von dem flüssigen Gold mit nach Hause zu nehmen. Um die Olivenbäume in Apulien steht es allerdings leider sehr schlecht. Das Wüten des merkwürdigen Baumschädlings ist nicht zu übersehen und die Plantagen voller kranker, oder gar toter Olivenbäume sind ein trauriger Anblick. Nach Recherchen meiner Mama handelt es sich um das Bakterium Xylella fastidiosa, auch Feuerbakterium, das durch eine Zwergzikade übertragen wird und gegen das es leider noch keine Abhilfe gibt. (Link Spiegel)

Den Abend lassen wir dann ausnahmsweise geschlechterspezifisch getrennt ausklingen: Während die Männer sich das erste Deutschlandspiel der Europa Meisterschaft anschauen, schlendern meine Mama und ich an der Promenade entlang und gönnen uns einen Spritz in der Bar gegenüber.

Wir können kaum glauben, dass wir nur noch einen Tag in Lendinuso vor uns haben. Der kleine Ferienort ist mittlerweile belebter, denn die italienischen Sommerferien haben schon begonnen. So sind wir am Strand nicht mehr alleine und können die anderen Familien beim Bauen von Sandburgen beobachten.

Die nächste Etappe führt uns wieder ein Stück zurück nach Norden, diesmal aber ins Inland nach Cessapalombo. Uns erwartet eine geschmackvolle Unterkunft auf dem Lande inmitten von Bergen und geradezu himmlischer Ruhe. Eigentliches Ziel dieser Etappe ist Castellucio, das wir auch gleich am folgenden Tag ansteuern. Eine kurvenreiche Fahrt mit dem Auto führt uns schließlich zu einer Hochebene mit atemberaubenden Ausblicken auf herrliche Blumenfelder. Die Blumen sind hier natürliches Beiwerk der Agrarwirtschaft und leuchten in mohnrot, kornblumenblau, linsengelb und margeritenweiß. Der Ort selbst erweist sich allerdings als eine traurige Ansammlung von Ruinen, die seit dem verheerenden Erdbeben im Oktober 2016 offensichtlich aufgrund des Konflikts zwischen den zuständigen Behörden und der Linsenbauern nur zögerlich wieder aufgebaut werden. Die Gegend ist bekannt für eine spezielle Linsensorte „lentiecchie di Castellucio“. Jedenfalls kommen die Touristen in Scharen, um die Blumenfelder zu fotografieren und die regionalen Linsen zu essen. So auch wir.

Am Abend wird die Nahrungssuche zu einer Odyssee. Es ist Montag, ein Tag, an dem viele Lokale in Italien geschlossen sind. Dazu kommt, dass die gesamte Region hier in Umbrien noch schwer von dem Erdbeben gezeichnet ist. Mittlerweile haben wir erfahren, dass es eine Serie von Erdbeben gab und die Region noch immer gefährdet ist. In allen Orten, durch die wir kommen, sind die alten Häuser durch Stahlträger und -seile abgestützt. Es gibt viele Ruinen und Baustellen. Viele Straßenzugänge sind gesperrt. Aber auch heute Abend verlässt uns das Glück nicht und beim dritten Anlauf entdecken wir ein wahres Kleinod in Form einer wunderbaren Osteria im malerischen Bergort Belforte del Chienti.

Nach einer weiteren Nacht bei klarem Sternenhimmel in unserer schönen Unterkunft auf dem Land und nach einem von unserer Wirtin servierten italienischen Frühstück geht es auch schon weiter zu unserer nächsten und letzten Etappe der Italienreise, nach Bellagio am Comer See.

Für das von unserer Gastgeberin angebotene Frühstück haben wir uns entschieden, da in der näheren Umgebungen die Einkaufsbedingungen mehr als spärlich sind und wir nichts dagegen haben, etwas Aufwand am Morgen zu sparen. Allerdings ist die sehr schön bunt anzusehende Frühstücksauswahl dermaßen süß, dass wir das Angebot, um einen Zuckerschock zu vermeiden, am zweiten Morgen doch etwas mit übrig  gebliebener Pizza und ungesüßtem Porridge anreichern.

In Bellagio am Comer See angekommen bietet sich uns ein ganz anderes Bild. Hier wimmelt es von Touristen, Restaurants, Bars und Gelaterias. Trotzdem genießen wir den Bummel durch die schmucke Altstadt und das Flanieren an der Seepromenade. Auch kulinarisch landen wir wieder einen Volltreffer in einer der verwinkelten Gassen versteckt gelegenen Pizzeria. Am nächsten Tag machen wir uns auf die Suche nach einer Badestelle, was sich als nicht ganz so einfach gestaltet, aber wir werden fündig und entdecken einen kleinen öffentlichen Steinstrand. Leider ist er nicht besonders sauber. Für eine kurze Erfrischung im See reicht es, dann begeben wir uns lieber auf einen weiteren Bummel durch das Zentrum und die Suche nach einem geeigneten Lokal für einen Mittagsimbiss. Auch dieses Unterfangen ist nicht ganz einfach. Heute ist Mittwoch und hier haben sich offensichtlich viele Restaurants diesen Tag als Ruhetag auserkoren. Vor den übrigen Lokalen bilden sich lange Warteschlangen, aber wieder haben wir Glück und ergattern noch einen Platz ohne Wartezeit in einem Bistrot. Nach Salat, Espresso und Gelato in der gegenüberliegenden Gelateria (mit Wartezeit) haben wir das dringende Bedürfnis, uns dem Touristenrummel vorübergehend zu entziehen und chillen etwas in unserer Unterkunft. Diese ist ausgesprochen schön gelegen, etwas abseits des Zentrums mit Blick über den See. Am Abend steht das zweite Deutschlandspiel an, dummerweise zur besten Abendessenszeit, aber die Männer zeigen sich kompromissbereit und nach der ersten Halbzeit gesellen wir uns wieder zu den anderen Touristen auf der Suche nach freien Plätzen in einem Lokal und werden schnell fündig. Im Ristoro Forma e Gusto ist vor allem die hausgemachte Pasta hervorzuheben und das Tiramisu, welches sich mein Papa zum Nachtisch gönnt und großzügig mit uns teilt.

Sehr befremdlich finden wir, dass durch die engen Gassen der Altstadt pausenlos Autos rollen, obwohl sie eigentlich als Fußgängerzonen angelegt sind.

Überhaupt haben wir auf unserer Reise festgestellt, dass man in Italien überall, wo es möglich ist, mit dem Auto hinfährt und parkt. Verbotsschilder werden meist ignoriert. Ähnlich verhält es sich auf Schnellstraßen und der Autobahn. Mit Ausnahme der allgemeinen Höchstgeschwindigkeit wird sich weder an Geschwindigkeitsbegrenzungen noch an Überholverbote gehalten. Allerdings überraschen uns die Autobahnraststätten sehr positiv. Anders als in unserer Heimat sind die Toiletten immer kostenlos, der Kaffee ist gut und preiswert und die Preise fürs Essen sind angemessen.

An dieser Stelle gebührt meinem lieben Papa ein gigantisches Lob, denn er hat uns sicher über 4000 Kilometer kutschiert und nur einmal durch eine politische Diskussion durch uns Mitfahrer abgelenkt eine Abfahrt verpasst. Stoisch ist er durch enge Straßen, oder über holperigen Straßenbelag gefahren und hat sich nicht durch die unorthodoxe Fahrweise einiger Verkehrsteilnehmer irritieren lassen. Danke, Papa!

Auch die letzte Etappe zurück nach München legen wir ohne Zwischenfälle zurück und wieder in München angekommen, beschließen wir die Reise mit einem gemeinsamen Abendessen. Wo? Beim Italiener natürlich!

Von dieser Reise, unserem Roadtrip an die Adria werden wir alle vier noch lange zehren.


1 Definition des Trullo nach meiner Mama: Die Trullis (das Trullo) sind landestypische Häuser, die wahrscheinlich im 16. Jahrhundert entstanden sind. Die Bauweise stammt wohl aus der Türkei und besteht aus mehreren aufeinander geschichteten Steinplatten, die sich nach oben zu einem Spitzdach, einem sogenannten Kraggewölbe verjüngen und ohne Mörtel aufeinander geschichtet werden. Die Spitze, Zippus, bildet oft eine Kugel oder ein anderes Symbol. Im Inneren der Trullis ist es zwar oft eher dunkel, aber die dicken Wände bieten Schutz sowohl gegen Kälte, als auch gegen Hitze.