„Reisen ist die schönste Art Geld auszugeben und trotzdem reicher zu werden.“

Wir können es kaum fassen: Um uns herum geht die Welt unter und wir sitzen im Flugzeug hoch über den Wolken und fliegen in Richtung Südhalbkugel.
Als wir diesen Flug vor einem Jahr gebucht haben, war noch keine Rede von Corona und spätestens seit der zweiten Welle waren wir sicher, es würde nicht mehr klappen. Und nun also doch. Wir fliegen mit Qatar Airlines und sind begeistert: Abstände werden eingehalten, alle Passagiere bekommen zusätzlich zur Gesichtsmaske ein Gesichtsvisier mit der Auflage, dieses vor dem Boarding anzulegen und erst am Zielort wieder abzunehmen. Beim Essen und Trinken muss man also etwas erfinderisch werden. Denn Verpflegung gibt es reichlich und für Flugzeugessen ist es recht annehmbar bis durchaus schmackhaft, die Sitze sind auch in der Holzklasse bequem und ah, es gibt genug Platz für die unteren Extremitäten. Vor dem Check-In mussten alle Passagiere ein negatives Coronatestergebnis vorweisen.
In Doha landen wir zwischen und haben zwei Stunden Aufenthalt. Uns ist nach Kaffee. Also stoßen wir mit einem Cappuccino auf das neue Jahr an. Dieses Jahr ist ja eh alles anders. Insgesamt ist die Flugreise mit 17 Stunden sehr lang aber gut auszuhalten.

Die Ankunft in Kapstadt ist angenehm. Das Prozedere am Flughafen geht zügig vonstatten. Wir nehmen ein Uber Taxi zu unserer Unterkunft und sind angekommen, im Hochsommer auf der anderen Seite der Erde.
Auch hier erwarten uns Einschränkungen. Wir befinden uns im Alert Level 3: Ausgangssperre von 21 bis 5 Uhr. Maskenpflicht überall im öffentlichen Raum, auch im Freien. Alle Strände sind tabu. Kein Alkohol, auch nicht im Supermarkt. Dennoch darf man sich tagsüber frei bewegen. Restaurants und Geschäfte sind geöffnet. Also genießen wir die sommerlichen Temperaturen draußen, gehen auch essen, aber sind uns im Klaren, dass das Risiko einer Ansteckung besteht. Die Infektionszahlen steigen auch hier. Leider halten sich viele Südafrikaner nicht an die Maskenpflicht. In den Townships, wo viele arme Menschen dicht an dicht zusammenwohnen, ist Abstand halten unmöglich. Die Bewohner können sich nicht schützen und viele von ihnen sehen auch nicht ein, warum sie dann in der Öffentlichkeit eine Maske tragen sollen. Wir meiden die Busse zu Stoßzeiten, sitzen in Restaurants immer draußen, halten uns beim Einkaufen nicht unnötig lange auf und vertrauen und hoffen.

Wir machen es uns in unserer Unterkunft gemütlich. Ich finde sogar eine Yogamatte, die offensichtlich ein Gast dagelassen hat. Da sind die Vormittage gerettet: Roland arbeitet und ich mache die Krähe, den Hund, die Taube und den Krieger. Ab und an turnt Roland sogar mit. Nachmittags gehen wir an der Strandpromenade oder im Green Point Park spazieren, steigen auf unseren „Hausberg“, den Signal Hill, erklimmen den Lion‘s Head, bestaunen südafrikanische Kunst im Zeitz MOCAA Museum und bummeln an der Waterfront.
Hier haben wir mittlerweile ein Lieblingslokal, das Vovo Telo mit Kellner Jimmy, der uns immer herzlich begrüßt, auch wenn wir nicht in seinem Bereich sitzen und sich freut, dass wir immer wieder kommen. Einmal zaubert er sogar ein Bärchen auf unseren Cappuccino.
Überhaupt fällt uns, wie schon bei unserem letzten Aufenthalt vor drei Jahren, auf, dass alle Servicekräfte ausgesprochen freundlich sind. Außerdem fällt auf, dass sie fast ausschließlich schwarz sind. Im Falle von Jimmy ist es eine von Herzen kommende, lässige Freundlichkeit. Putzfee Loma, die ab und zu unsere Unterkunft reinigt, legt eine schon fast unterwürfige Freundlichkeit an den Tag, die uns eher unangenehm ist.
Auf der Straße werden wir oft von Bettlern angesprochen. Viele von ihnen scheinen psychisch krank zu sein, sie sprechen mit Mülleimern, Wänden und Wasserfontänen, laufen unruhig hin und her oder gestikulieren wild mit den Armen und Händen.
Sowohl die Apartheid als auch die Kluft zwischen arm und reich sind hier leider sehr aktuelle Themen.
Ein weiteres Thema sind offensichtlich unüberbrückbare Kulturunterschiede zwischen afrikanischen Völkern. So erzählt uns ein Uber Fahrer aus Simbabwe, er sei nach Südafrika gekommen, weil die Probleme in Simbabwe noch viel schlimmer seien und habe jetzt hier eine kleine Familie. Auf meine Frage, ob seine Frau Südafrikanerin sei, antwortet er, dass das nicht funktionieren würde. Eher könne er mit einer „weißen Lady“ verheiratet sein. Er kann uns nicht erklären, warum die Kulturen der schwarzen Simbabwern und der schwarzen Südafrikaner unvereinbar sind. Er sagt: „They don‘t click.“ Dieses Gespräch gibt uns viel Stoff zum Nachdenken.

An einem Sonntag treffen wir uns mit der Tochter der Schulfreundin meiner Eltern, die mittlerweile mit ihrem Mann hier in Kapstadt lebt. Ja, die Welt ist klein. Gemeinsam unternehmen wir eine spektakuläre Wanderung und lassen uns von den spannenden Projekten berichten, in die die beiden involviert sind. Teresa managt eine soziale Organisation, in der es vor allem um den Dialog zwischen verschiedenen Gesellschaftsgruppen geht und engagiert sich in dem Township an ihrem Wohnort und Michael promoviert zum Thema Klimaschutz.
Auf der Wanderung macht uns Teresa auf den Vegetationstyp Fynbos aufmerksam, der in den Bergen der Kapregion Südafrikas vorkommt. Der Name stammt von dem altniederländischen Wort „fine bush“. Die Pflanzen verbrennen regelmäßig und regenerieren sich aus der Asche. Die bekanntesten sind die Proteen. Andere Bekannte sind Heidekraut, Iris, Gänseblumen und Orchideen. Außerdem gehören auch die Teegewächse Rooibos und Buchu dazu. Fynbos hat einen besonderen Charme: Auf den ersten Blick wirken die Pflanzen recht unscheinbar, aber sie können eine gewaltige Blütenpracht entwickeln und bieten dann einen berückenden Anblick.
Im Botanischen Garten Kirstenbosch können wir Fynbos noch einmal in seiner ganzen Pracht genießen. Hier verbringen wir den Nachmittag meines Geburtstages und lassen die Seele baumeln.
An einem Freitag unternehmen wir eine besonders schöne Wanderung vom Botanischen Garten aus. Es geht durch den Garten durch und direkt steil hoch durch die Schlucht Skeleton Gorge in Richtung Tafelberg. Nach eineinhalb Stunden steigen und klettern erreichen wir eine bizarre Sandlandschaft und stehen schließlich vor einem Stausee, in dem man laut einer Quelle aus dem Internet nicht baden sollte. Aber viele tun es. Das kühle Nass nach dieser Anstrengung ist einfach zu verlockend. Nach kurzer Erfrischung steigen wir durch die Schlucht Nursery Ravine wieder ab, die trotz ihres harmlos klingenden Namens nicht weniger steil ist. Nach der Kletterei haben wir uns einen Mittagsimbiss im Tearoom des Botanischen Gartens verdient. Eine besondere Wohltat ist das eisgekühlte „homemade“ Ginger Beer. Dann noch eine Runde Shavasana unter einem schattigen Baum und wir sind wieder hergestellt.
Diese Kombination von Anstrengung und Belohnung und Entspannung in der atemberaubend schönen Kulisse des Botanischen Gartens gefällt uns so gut, dass wir drei Tage später eine weitere Tour gehen, die im Botanischen Garten endet. Es wird unsere Königstour: Wir erklimmen den Tafelberg durch das India Venster. Diesen Weg kennen wir bereits, aber die doch sehr abenteuerlichen Klettereinheiten waren uns irgendwie entfallen und an einigen Stellen wird uns dann noch etwas mulmig. Da heißt es: Konzentration, gut festhalten, sichere Trittstellen suchen und ja nicht nach unten schauen. Dann werden wir aber mit einem besonders schönen Abschnitt durch üppigen Fynbos belohnt und sehen sogar zwei Klippspringer (eine südafrikanische Antilopenart) und werden von Kolibris umschwirrt. Wir können uns kaum sattsehen und auch der Ausblick vom Tafelberg aus ist nicht zu verachten. Dann geht es auf und ab auf einem kleinen Trampelpfad, an einem orangefarbenem Bachlauf entlang durch ein herrliches Biotop mit unzähligen Fröschen, bis wir schließlich den bekannten Stausee erreichen und die ersehnte Erfrischung genießen. Schließlich klettern wir durch den Skeleton Gorge hinunter in den Botanischen Garten und landen wieder im Tearoom, erschöpft und humpelnd, aber glücklich und voller wunderbarer Eindrücke.

Auch ein Stadtbummel im Zentrum ist drin. Mich interessiert die südafrikanische Mode und wir machen interessante Entdeckungen: Es gibt einige lokale Designer, die ihr Schneideratelier mit einem kleinen Showroom, bzw. einer Boutique zum Einkaufen kombinieren, sowohl schwarze als auch weiße Afrikaner. Die Schnitte sind meist sehr einfach und schlicht, bei den Schwarzafrikanern sind die Stoffe bunt gemustert, bei den weißen sind sie eher einfarbig und die Farben sehr gedeckt. In einem solchen Laden unterhalten wir uns lange mit der Designerin. Beim Eintreten in den Laden werden wir von drei Hunden begrüßt. Da ist das nicht vorhandene Eis sofort gebrochen. Sie ist die Lieblingsdesignerin einer Bekannten von unserem letzten Aufenthalt hier, sehr nett. Natürlich ist es mir unmöglich, den Laden ohne ein neues Kleid zu verlassen.
Gastronomisch gibt es ebenso viel zu entdecken. Es gibt einige sehr feine und doch bezahlbare Lokale, oft von jungen Paaren oder Geschwistern betrieben, die neuen Schwung in die Küche bringen und dabei auf regionale Produkte und nachhaltige Verarbeitung achten. Auch in vielen Cafés geht es sehr ambitioniert und kreativ zu. In Rosetta‘s Café dürfen wir für unseren Cappuccino zwischen zwei Kaffeesorten wählen und entscheiden uns für einen Bergamotte-Zitronenkuchen, der mit Joghurt und lila Blüten garniert ist.
Nach dem Essen entspannen, lässt es sich wunderbar im Stadtpark Company‘s Garden, dem ältesten Garten Südafrikas. Ganz in der Nähe ist die South African National Gallery, in der wir noch einmal moderne südafrikanische Kunst bestaunen.

Es ist schön, zurück in Kapstadt zu sein. Vieles kennen wir schon von unserem letzten Aufenthalt, vieles entdecken wir neu und alles sehen wir mit anderen Augen. Diesmal ist Kapstadt keine Station von vielen auf einer Weltreise. Es wird vielmehr zu einem Wahl-Wohnort auf Zeit. Das gibt uns die Gelegenheit, tiefer einzutauchen, genauer zu beobachten. Besonders freut uns, dass wir alle unsere ehemaligen Kontakte wiederbeleben und neue finden können. Mit Nikki und Brandon, die wir von einem Lamb Braai kennen, halten wir per WhatsApp Kontakt. Die beiden hatten Coronafälle im Bekanntenkreis und isolieren sich zu Hause, aber Nikki steht uns per WhatsApp stets mit Empfehlungen zur Seite.
Bei Charlene, die uns bei unserem letzten Aufenthalt in die Kunst des Austern Auslösens eingeweiht hat, bestellen wir einmal Austern, die sie uns auslöst und durch ihren Bruder, der die Austernfarm betreibt, liefern lässt.
Zweimal treffen wir noch Rolands Freund Peter, der in den ersten beiden Januarwochen auf Motorradreise in Südafrika unterwegs ist.

Oft erreicht uns die Frage, was wir hier von Corona mitbekommen, beziehungsweise wie damit umgegangen wird. Teresa erzählt, dass sich bis zur Ansprache des Präsidenten am Ende des vergangenen Jahres kaum jemand um irgendwelche Regeln oder Vorsichtsmaßnahmen scherte. Doch die Rede rüttelte die Bevölkerung wach und am Tag danach waren die Straßen wie leer gefegt. Die persönliche Ansprache durch ihr Staatsoberhaupt hat also offensichtlich eine Wirkung auf die Menschen hier. Zur Zeit beobachten wir allerdings (wieder?) einen sehr nachlässigen Umgang mit den Hygienevorschriften. Masken werden fast konsequent unterhalb der Nase oder gar unterhalb des Kinns getragen. Immerhin gibt es im Einkaufszentrum Aufpasser, die die Leute gelegentlich zum korrekten Tragen der Maske auffordern. Sehr beliebt sind dünne Loopschals anstatt einer Maske, die bei Bedarf etwas nach oben gezogen werden, um einen Teil des Gesichts zu bedecken. Die Wirksamkeit derselben ebenso wie die der einfachen Stoffmasken ist natürlich sehr fragwürdig.
Auch von offiziellen Institutionen werden Hygienemaßnahmen sehr unterschiedlich gehandhabt. Im Green Point Park werden wir am Eingang über die Regeln aufgeklärt und registriert. Als wir uns auf eine Bank setzten, kommt sofort ein Parkwächter und klärt uns freundlich aber bestimmt darüber auf, dass wir gerne durch den Park spazieren oder joggen und auch kurz ausruhen, aber nicht länger als fünf Minuten an einem Ort verweilen dürften. Im Botanischen Garten dagegen, darf man sich mit Kind und Kegel auf einer Wiese niederlassen, picknicken, Karten oder Ball spielen und so lange bleiben, wie es einem beliebt.
Tatsächlich halten sich Einheimische und Touristen an das Strandverbot. Anfangs konnten wir nicht verstehen, warum es nicht einmal erlaubt ist, am Strand entlang zu spazieren. Ein Freund erklärt uns, dass die Einheimischen zu dieser Jahreszeit normalerweise Treffen und Parties mit Familie und Freunden am Strand veranstalten und zwar in einem solchen Ausmaß, dass man keinen Platz mehr zum Umfallen hätte. Nun verstehen wir das Verbot.
Auch das strikte Alkoholverbot finden wir befremdlich, bis uns Teresa bestätigt, dass dieses Verbot einen sehr positiven Effekt auf die Krankenhäuser hat. Auch das leuchtet uns ein. Und trotzdem nehmen wir dankbar das Angebot unseres Vermieters an, uns etwas Wein direkt von einem Weingut zu besorgen. Mit der Zeit bekommen wir auch mit, dass einige Restaurants ihre Nischen gefunden haben und Wein in Traubensaftflaschen servieren. Auch dieses Angebot nehmen wir an und beruhigen unser Gewissen damit, dass wir so zumindest die Gastronomie unterstützen.

Da das Reisen aufgrund der Pandemie momentan kompliziert ist, entscheiden wir, zunächst hier zu bleiben und verlängern unseren Aufenthalt um einen weiteren Monat. Der Abwechslung halber verlassen wir aber unser kleines Apartment in Sea Point und ziehen 20 Kilometer weiter südlich nach Hout Bay.