„Wenn einer eine Reise tut, dann kann er was erzählen. Drum nähme ich den Stock und Hut und tät das Reisen wählen.“
Matthias Claudius (1740 – 1815)

Kapstadt – Genussort mit Endzeitstimmung

Kapstadt ist für uns die Mittelstation: Hier verbringen wir einen ganzen Monat, sortieren uns und planen die letzten beiden Monate unserer Weltreise (siehe Reiseziele).
Von Anfang an läuft hier alles easy und entspannt. Schon am Flughafen werden wir sehr freundlich und zügig empfangen: „Hi, how are you? How long will you be staying with us? Enjoy your stay.“ Wow, das haben wir bisher anders erlebt: mit langen Warteschlangen und griesgrämigen Gesichtern bei der Passkontrolle.
Auch hier gibt es Uber und sogar eine Pickup-Station am Flughafen. Unser Apartment ist komfortabel, die Arbeitsbedingungen für Roland bestens. Nur einige Schritte von unserer Bleibe entfernt, befindet sich die lange Uferpromenade von Sea Point, an der wir joggen und sporteln können und das immer mit sehr motivierenden Vorbildern jeder Couleur, ein wahres Sportler-El Dorado. Sport treiben ist hier auch absolut notwendig, denn es gibt gefährlich gutes und preiswertes Essen und passend dazu auch noch sehr guten Wein.

Neben den vielen Genüssen und Wohlfühlaspekten stimmen uns allerdings von Anfang an auch einige Dinge nachdenklich:
Südafrika wird von einer schlimmen Dürre heimgesucht. Der 12. April 2018 wird als Day Zero bezeichnet, an dem die Wasserreserven aufgebraucht sein werden. Einheimische dürfen nur noch 50 Liter pro Person und Tag verbrauchen, ab Februar nur noch 25. In öffentlichen Toiletten wird darum gebeten, nur zu spülen, wenn es absolut notwendig ist („Is it yellow, let it mellow. Is it brown, flush it down.“) und möglichst nicht die Hände zu waschen.
Bei einem Ausflug nach Simon’s Town und einer Kayaktour zum Boulders Beach zu den Pinguinen erzählt uns unser Guide und Umweltschützer Terry viel Interessantes zu den Pinguinen und Haien: Die Pinguine suchen sich einen Partner fürs Leben und teilen sich die Brut- und Erziehungsarbeit. Pinguine sind sehr romantisch, berühren sich mit den Flossen und umsorgen sich gegenseitig. Zur Nahrungsbeschaffung schwimmen sie V-förmig im Schwarm, wie andere Vögel in der Luft, große Strecken, hier ca. 70 km. Wenn ihnen unterwegs ein Hai begegnet, verändern sie blitzschnell ihre Formation, um wie ein Wal auszusehen und gelangen so unbeschadet an ihr Ziel. Dort angekommen, tauchen sie sehr tief und erzeugen im Kreis schwimmend einen Aufwärtswirbel, um die Fische, hier Sardinen nach oben zu treiben. Auf diese Art können sie schnell viele Fische verschlingen und mit gefüllten Mägen wieder heimschwimmen. Hat sich eine Pinguinkolonie einmal niedergelassen, schwärmt sie immer an den gleichen Ort zum Fischen aus und kehrt an den gleichen Ort zum Brüten zurück, selbst wenn der Mensch Häuser und Straßen in ihren Weg baut. Schockierend war die Information, dass die Pinguine, die man noch am Boulders Beach beobachten kann, in 30 Jahren ausgestorben sein werden. Als Gründe dafür nennt uns Terry den Klimawandel und die Überfischung. Auch der Hai hat kaum Überlebenschancen, sorgt aber für das Gleichgewicht im Ökosystem des Meeres.
Auch die Wilderei ist nach wie vor ein ernstes Thema hier. So werden noch immer Nashörner abgeschossen, worauf eine Skulptur an der Uferpromenade hinweist.
Außerdem ist die herrschende Armut auf den Straßen Kapstadts offensichtlich. Leider gibt es viele Obdachlose und Bettler. Die Arbeitslosenquote liegt bei 30 Prozent. Unseren ersten Einkauf im Supermarkt, den wir gleich nach Ankunft tätigen, weil unser Apartment noch nicht bereit ist, quittiert Renata, die Tante unseres Vermieters entsprechend: „Roland and his wife are going shopping to help South Africa.“
Ansonsten fällt uns auf, dass im Servicebereich fast immer schwarze Afrikaner arbeiten, die ausgesprochen freundlich sind, sei es der Uber-Fahrer oder die Kassiererin im Supermarkt. Eine unterhält zum Beispiel Roland auf charmante Weise nach seinem Einkauf. Roland war als „early bird“ schon vor 9 Uhr beim Einkaufen und hatte unter anderem eine Flasche Wein im Einkaufskorb. Da Alkohol aber erst ab 9 Uhr verkauft werden darf, musste er mit dem Bezahlen bis dahin warten. Also schloss die Kassiererin kurzer Hand die Kasse und ratschte eine Runde mit ihm.

In den vier Wochen haben wir Zeit für viele Unternehmungen. Da Roland schon zwei Mal hier überwintert hat, kennt er viel Sehenswertes und zeigt mir seine Lieblingsorte. Aber auch für ihn gibt es noch einige Neuentdeckungen, wie zum Beispiel das Zeitz MOCAA (Zeitz Museum of Contemporary Art Africa), das uns einen spannenden Einblick in die moderne Kunst des Landes gibt. Gleich in der ersten Woche besteigen wir den Lion’s Head und den Tafelberg, beides recht sportliche Abenteuer mit Klettereinlagen, und genießen das atemberaubende Panorama von oben. Außerdem besuchen wir den Botanischen Garten, eine bezaubernde Gartenlandschaft mit sehr nettem Tearoom, in dem wir uns einen „Mideastern Platter“ mit mediterranen Vorspeisen gönnen, der Roland schon vor fünf Jahren begeistert hat. In den Botanischen Garten gehen wir sogar ein zweites Mal, diesmal um einem Konzert zu lauschen: Es singen The Soil, eine dreiköpfige A-cappella-Gruppe, die den gesamten Botanischen Garten rockt.
Besonders beeindrucken uns die Strandausflüge, allen voran der acht Kilometer lange Strandspaziergang von Nordhoek nach Kommetjie: weißer Sand, türkisblaues Wasser, sanfte Wellen und strahlend blauer Himmel. Nur Baden geht leider nicht. Das Wasser ist so kalt, dass wir es kaum aushalten, mit den Füßen hindurch zu laufen. Auch die Strände von Llandudno und Hout Bay begeistern uns. In Llandudno nehme ich all meinen Mut zusammen und stürze mich für fünf Sekunden in die Fluten. Ganz wunderbar ist anschließend das Prickeln auf der Haut im warmen Sonnenschein.
Aber auch die Stadt hat Einiges zu bieten. Das Bokaap-Viertel im Zentrum bezaubert mit seinen kleinen, bunten Häuschen, ist aber mittlerweile zum Touristenmagnet geworden. Samstags stürzen wir uns ins wuselige Treiben auf dem Neighbourgoodsmarket in Woodstock, futtern uns durch die Fressmeile und bummeln durch die Läden in der Biscuit Mill. Oft spazieren wir an der Uferpromenade entlang zur nahegelegenen Waterfront, einem stilvollen Shoppingzentrum mit Hafen.

Zu meinem Geburtstag bucht Roland ein besonderes Event über Airbnb: eine Oyster and Bubbly Journey. Wir sind zu Gast bei Charlene und Michael, die mit uns zu einer Weinprobe in die Boutique Vinery Roosboom fahren und uns anschließend bei sich zu Hause ein vorzügliches Seafood-Mahl bereiten. Charlene zeigt uns auch, wie man Muscheln reinigt und Austern öffnet und Roland wird zum Experten. Der Höhepunkt bei der Weinprobe ist das Öffnen einer Sektflasche mit Säbel. Während ich kläglich versage, hat Roland zu viel Kraft und zersäbelt die Flasche in der Mitte, sehr zur Erheiterung aller Beteiligten. Dieser Geburtstag wird mir wohl noch lange in Erinnerung bleiben.

Natürlich lassen wir auch den Ausflug nach Cape Point und Cape of Good Hope nicht aus und wandern auf einem herrlichen Höhenweg zwischen den Aussichtspunkten hin und her.
Angetan von den Erlebnissen, die über Airbnb angeboten werden, haben wir noch eines für unser letztes Wochenende in Kapstadt gebucht: Diesmal sind wir bei Nikki und Brandon zu Gast. Die beiden verwöhnen uns bis tief in die Nacht mit kulinarischen Genüssen, wobei der Höhepunkt das Probieren von drei verschiedene Arten gegrillten Lamms ist. Auch Nikki und Brandon weihen uns in die Kunst der Zubereitung ein. Die beiden sind schon weit gereist und immer auf der Suche nach neuen Rezepten. Wir verstehen uns blendend und verbringen spontan unseren letzten Abend gemeinsam am Glen Beach, um den Sonnenuntergang zu betrachten.

Nun bleiben uns nur noch wenige Stunden an diesem schönen Ort, den wir mit gemischten Gefühlen verlassen. Wie lange wird dieser Ort noch schön sein?

Unser Lieblingsessen: Osaka-Sushi zum Mitnehmen von nebenan, Austern (vor allem die ganz frischen von Charlene), die Vorspeisenplatte beim Griechen Mykonos
Unser Lieblingsdrink: Südafrikanischer Wein: Bandana Blanc (weiß) von Roosboom, Pinotage (rot).

Gelesene Lektüre:

  • Cynthia Jele – Happiness is a Four-Letter Word.
    „This South African chick-lit novel celebrates sisterhood, friendship, family and the complexities of relationships and desires. It also proves that human beings are seldom ever satisfied. It’ll make you laugh, and cry – and even teach you a few lessons.“ (VUVU VENA, Mail & Guardian) Dieser Rezension kann ich kaum noch etwas hinzufügen. Ich habe die Lektüre sehr genossen und habe sehr bedauert, dass ich so schnell alles „aufgelesen“ hatte. Cynthia Jele schreibt wunderbar.
  • Nadine Gordimer – The Pickup.
    Mit dieser Lektüre tat ich mich wesentlich schwerer. Gordimers Sprache ist etwas schwerfälliger, ellipsenhaft. Ihr Roman lässt viele Fragen offen. Sie beschreibt, wie sich eine weiße Südafrikanerin in einen schwarzen illegalen Einwanderer verliebt und schließlich überraschend mit ihm in seine Heimat geht, da er nicht bleiben kann. Ebenso überraschend ist dann das Ende.
  • John M. Coetzee – Schande.
    Dieses Buch habe ich nicht auf unserer Reise, sondern schon vor vielen Jahren gelesen. Damals hat es mich sehr beeindruckt. Nähere Informationen gibt es zum Beispiel hier: www.dieterwunderlich.de/Coetzee_schande.htm

Verwendeter Reiseführer: Roland.
Der beste Ratgeber, den es gibt!