Die Fahrt nach Batumi ist ein Albtraum. Nachdem Google uns auf dieser Reise schon irregeleitet hat, sind wir uns sicher, es muss ein Irrtum sein, dass die Strecke von 160 Kilometern mit dem Auto knapp fünf Stunden dauern soll. Es ist auch einer, wir brauchen fünfeinhalb. Gut die Hälfte der Strecke erweist sich als bucklige Schotterpiste. Sogar einige von Wasser überschwemmte Stellen müssen wir passieren und bereuen sehr, keinen Jeep gemietet zu haben. Immerhin hat unser Wagen Allradantrieb.
Die Landschaft, die wir durchqueren, ist allerdings durchaus malerisch. Die Straße führt durch üppig grünes Bergland. Wir fahren an alten, teilweise halb verfallenen Häusern und Gehöften vorbei, Kühe grasen am Straßenrand.
Auf der Suche nach einem geeigneten Rastplatz erreichen wir endlich den Ort Chulo mit etwas Infrastruktur. Als wir aus dem Auto steigen und auf einer Bank unsere Brotzeit verzehren, werden wir von allen Seiten unverhohlen gemustert. Noch immer ist es uns nicht gelungen, uns den Einheimischen soweit anzupassen, dass wir nicht mehr sofort als Touristen erkannt werden.
Gänzlich durchgerüttelt, kommen wir schließlich in Batumi an. Allerdings gelingt es uns nicht, bis zu unserer Unterkunft zu fahren, da die Straße wegen einer großen Baustelle gesperrt ist. Ganz Georgien ist offensichtlich im Um- und Aufbau. Unser Apartment befindet sich im 15. Stock eines Hochhauses mit wellenförmiger Fassade. Wir wundern uns etwas über den hiesigen Geschmack, sind aber vor allem froh, endlich angekommen zu sein. An der Rezeption erhalten wir eine Karte für die Tür zum Apartment und eine für den Aufzug. Auf der Aufzugkarte haben wir 20 Fahrten. Da wir das System nicht gleich verstehen, vergeuden wir eine Fahrt. Bleiben noch 18 Fahrten, nachdem wir in unserem Stockwerk angekommen sind. Also dürfen wir das Gebäude während unseres Aufenthaltes nur noch neun Mal verlassen. Schnell rechnen wir hoch und hoffen, dass wir die Karte bei Bedarf aufladen können.
Der Ausblick von unserem Balkon entschädigt für die holprige Anfahrt: blauer Himmel, weites Meer… Die Strandpromenade allerdings bringt uns zum Staunen und übertrifft unseren anfänglichen Eindruck bei Weitem. Über Geschmäcker lässt sich ja bekanntlich streiten. Aber diese Gebäude, die hier die Strandpromenade säumen, spotten jeder Beschreibung, eines opulenter als das andere, ein Stilmix irgendwo zwischen Disneyland, russischem Schick und einer Möchtegern-Skyline. Die Bauherren sind alle bekannten internationalen Hotelketten. Hier werden seelenlose Gebäuderiesen aufgestellt, die, so wie das Baumaterial aussieht, wohl nur eine relativ kurze Lebenszeit haben werden. Warum wird nicht mehr solide, traditionell und schön gebaut? Nur noch groß, schnell und billig. Wie schade!
Beim Bummel an der Promenade entlang kommen wir an diversen brachliegenden Vergnügungsparks vorbei, entdecken aber immerhin ein lauschiges Lokal, etwas zurückgesetzt unter schattigen Bäumen. Hier machen wir Mittagspause. Ein sehr netter Keller nimmt sich sofort unserer an. Wir sind auch dringend auf ihn angewiesen. Denn die georgische Speisekarte ist lediglich auf türkisch übersetzt. Mist, die paar Brocken, die ich als Kind mal konnte, habe ich leider fast vergessen. Unser Kellner hilft uns aber, so gut er kann mit Händen und Füßen und mit Bildern. Mit Ayran und Kebab bewegen wir uns auf bekanntem Terrain und Khachapuri kennen wir mittlerweile auch: die georgische Käsepizza. Schließlich haben wir bestellt und bekommen viel zu viel. Wir sind so satt, dass wir dringend einen Verdauungskaffee benötigen. Auf der Karte steht „Mocca“. Das könnte ein türkischer Kaffee sein, oder? Ich frage unseren hilfreichen Kellner. Er sagt, nein, Mocca sei etwas anderes. Aber was? Ein zweiter Kellner wird hinzugezogen. Er sagt, wir sollten beides probieren und dann entscheiden. Wir verstehen nicht ganz, wie das vonstatten gehen soll, aber lassen ihn machen. Nach einigen Minuten – Die Dame an der Bar gibt sich richtig Mühe – bekommen wir einen türkischen Kaffee und beteuern, dass wir genau so einen gewollt hätten. Also bestellen wir davon einen zweiten. Ah, das tut wirklich gut. Vor allem ist er sehr liebevoll zubereitet mit einem kleinen köstlichen süßen Bällchen dazu. Seit einiger Zeit beobachte ich schon die Dame an der Bar, wie sie sich noch mehr Mühe mit der Herstellung eines Getränkes in zwei Tassen gibt. Abwechselnd gibt sie Milch und eine dunkle Flüssigkeit hinein. Am Ende verziert sie das Ganze mit Schokolade. Mir kommt ein Verdacht und ich frage Roland, was wir machen sollen, wenn uns jetzt auch noch der Mocca gebracht wird. Er entgegnet, dass er sich das jetzt nicht vorstellen könne. Wir hätten doch deutlich gesagt, dass wir den türkischen Kaffe wollten und diesen auch bekommen. Plötzlich gibt es eine kleine Diskussion unter den Kellnern und der eine kommt zu uns und fragt uns, ob wir denn jetzt keinen Mocca mehr gewollt hätten. Wir schauen uns an. Den können wir ja jetzt kaum noch ablehnen. Also her damit. Es handelt sich offensichtlich um einen etwas aufwändigeren Kakao. Ohjeh, mit dicken Bäuchen verlassen wir dieses ausgesprochen nette türkische Lokal und beschließen beim nächsten Mal zurückhaltender zu bestellen. Wir sind uns einig: heute Abend geht essenstechnisch nicht mehr viel und wollen im Supermarkt nur noch eine Kleinigkeit kaufen. Und da finden wir uns wieder vor einer Theke mit einer riesen Auswahl an georgischen Antipasti. Wir schlagen zu und wiederholen das Prozedere jeden Abend. Warum essen gehen, wo wir doch diesen unschlagbaren Ausblick von unserem Apartment aus haben und nur eine absehbare Zahl an Freifahrten mit dem Aufzug.
Besonders viel gibt es für uns in Batumi nicht mehr zu erkunden. Es gibt noch eine kleine recht nette Altstadt. Aber auch hier bietet sich da Bild, das wir schon kennen: viele ganz oder halb verfallene Häuser und vergleichsweise wenige belebte Straßen, Geschäfte und Gastronomie.
Das große Plus ist die Lage der Stadt am schwarzen Meer und ich genieße das morgendliche Bad im selbigen, bis ich die unangenehme Bekanntschaft mit einer circa 50cm großen Qualle mache. Zum Glück erwischt sie mich nur am Handgelenk, welches aber wie Feuer brennt und leuchtend rot wird. Aber die homöopathischen Kügelchen aus der Reiseapotheke wirken Wunder und nach einer Viertelstunde ist der Spuk vorbei. Trotzdem ist mir das morgendliche Schwimmvergnügen verleidet.
Schließlich machen wir noch einen Ausflug zum botanischen Garten, unter dem sich ein schön gelegener Badestrand mit einem netten Restaurant befindet. Hier gibt es keine Quallen und sogar Roland wagt den Sprung ins Wasser. Es ist auch wirklich eher badewannenwarm als kühl. Dafür lauert hier eine andere Gefahr. Der Restaurantbetreiber hat uns schon gewarnt, dass wir dort, wo die roten Bojen seien, nicht ins Wasser sollten. Er konnte uns aber nicht erklären, warum nicht. Als ich am Steinstrand entlang spaziere, ruft eine Strandbesucherin neben mir plötzlich „Cura! Cura!“ und ich bin mir ziemlich sicher, dass sie mich warnen will, aber wovor? Ich laufe weiter auf sie zu und sie wird immer aufgeregter. Also bleibe ich stehen und gebe ihr die Hand. Sie zieht mich zur Seite und deutet auf den Boden. Genau vor mir ragen rostige Metallspitzen aus dem Boden. Sie sind so gut zwischen den Steinen versteckt, dass ich sie erst jetzt sehe. Bei der Vorstellung, was passiert wäre, wenn ich darauf getreten wäre, wird mir übel. Das ging noch mal gut und ich bin meiner Retterin unendlich dankbar. Mittlerweile schwimmt auch einiger Plastikmüll im Wasser. Wir haben endgültig genug vom Stranderlebnis und steigen den kleinen Berg hinauf zum botanischen Garten. Es handelt sich eher um einen großen Park mit vielen Bäumen. Aber hier können wir den Tag mit einem schönen Spaziergang im Grünen beschließen.
Die Highlights in Batumi waren der atemberaubende Ausblick aus dem 15. Stock, die georgischen Antipasti aus dem Supermarkt, das türkische Lokal an der Strandpromenade und trotz Superqualle das morgendliche Bad im Meer.
Nun sind wir gespannt auf unser nächstes Ziel Sugdidi.