„Eine Reise ist ein Trunk aus der Quelle des Lebens.“
Christian Friedrich Hebbel (1813 – 1863), deutscher Dramatiker und Lyriker
Leben pur, in all seinen Facetten, von weiß bis schwarz in allen Graustufen und bunt, das erleben wir in Salvador im wunderbaren Haus von Pierre und seinem heiligen Hund.
Nirgendwo in Brasilien war es so lebendig und gleichzeitig Armut, Kriminalität und Drogenkonsum so nah.
Wie in Rio, bestellen wir gleich bei der Ankunft am Flughafen ein Uber-Taxi. In Rio brauchten wir drei Anläufe, bis ein Junge auf unsere vergeblichen Versuche aufmerksam wurde und uns erklärte, dass Uber-Taxis nur am Eingang des oberen Stockwerkes halten dürfen. Hier frage ich vorsichtshalber vorher einen Flughafenpolizisten und es klappt gleich beim ersten Anlauf. Als wir uns unserer Unterkunft nähern, wird der Taxifahrer sichtlich nervös und fragt, ob wir nicht in einem Hotel wohnen. Als wir verneinen, erklärt er uns, dass wir durch die Straßen, durch die wir fahren, nicht laufen sollen, da es gefährlich sei. Am Haus angekommen, ist er sicher, dass die Adresse nicht stimmt, da das Haus verlassen aussehe. Als Roland aussteigt, um zu klingeln, steigt er sofort mit aus und übernimmt das Klingeln. Pierre öffnet die Tür und heißt uns herzlich willkommen. Wir sind also richtig. Unser Taxifahrer verabschiedet sich und steigt sichtlich verwirrt wieder in sein Auto.
Pierre zeigt uns unsere Wohnung und das mulmige Gefühl verwandelt sich schnell in Oh- und Ah-Ausrufe unsererseits. Die Wohnung ist geräumig und sehr stilvoll eingerichtet. Die Terrasse ist eine Wucht und der Ausblick aufs Meer phantastisch. Pierre bietet an, uns gleich die Umgebung zu zeigen und wir laufen gemeinsam durch unsere Nachbarschaft. Da Weihnachtsfeiertag ist, ist es sehr ruhig. Nur wenige Läden sind geöffnet. Viel Müll liegt herum und einige Leute schlafen sich nach offensichtlich durchgefeierter Nacht auf Bänken, Mauern oder dem Gehweg aus. Besonders am Hauptplatz Praça da Liberdade liegt viel Müll und Essensreste. Viele Menschen sitzen am Straßenrand und scheinen auf etwas zu warten. Pierre erklärt uns, dass die Leute den Armen am Heiligabend an diesem Platz essen geben und dass die Armen am Straßenrand nun warten, dass die Reichen mit Geschenken für die Kinder kommen, was am Weihnachtstag üblich wäre. Tief berührt gehen wir weiter, während Pierre uns prophezeit, dass wir am nächsten Tag an der gleichen Stelle eine andere Welt voller Menschen und Trubel erleben werden. Zwischendurch grüßt er immer wieder Bekannte. Bei einem erzählt er uns, dass er ihm letzte Woche, als es ihm sehr schlecht ging, neue Energie geschenkt habe. Pierre saß in sich zusammengesunken auf einer Mauer als sein Freund zu ihm kam. Ein Zittern ging durch seinen Körper und Pierre war plötzlich wieder voller Energie. Pierre erklärt, dass sein Freund ein Medium sei und so spirituelle Kräfte hätte. Das kommt mir sehr bekannt vor. In dem Roman von Paulo Lins habe ich ähnliches gelesen. Es gehört zur afro-brasilianischen Religion, dem Candomblé.
Überhaupt dominiert hier in Salvador die afro-brasilianische Kultur. Wir sehen nur wenige Weiße und die meisten von ihnen sind Touristen. Es gibt wenige Supermärkte, dafür aber sehr viele Märkte und Straßenstände, an denen nahezu alles verkauft wird. Noch nie haben wir Obst so preisgünstig gekauft wie hier. Leider leben viele Menschen auf der Straße, betteln oder nehmen Drogen.
Durch einige Straßen können wir nur gemeinsam mit Pierre gehen und er bietet immer wieder an, uns zu begleiten. Jeder Gang mit ihm wird zum Erlebnis: Wir gehen gemeinsam in einem Buffet-Restaurant nach dem All-you-can-eat-Prinzip essen, in dem er uns auf einige landestypische Gemüsesorten hinweist, an den Straßenständen erklärt er uns die Obstsorten, und er weiß, wo man Fisch kaufen kann und wo man es besser lassen sollte.
Jeden Morgen gehen wir mit ihm zum Strand, um zu schwimmen. Der Strand liegt direkt unterhalb unseres Hauses, aber auf dem Weg zum Strand müssen wir durch Straßen mit halb verfallenen Häusern und an einem Crack-Umschlagplatz vorbei. Einheimische warnen uns davor, diesen Weg zu gehen, aber Pierre versichert uns, dass er die Leute hier von klein auf kennt und wir mit ihm sicher seien. Auf dem Rückweg vom Strand geht es an einem Brunnen mit heiligem Wasser vorbei, an dem Pierre sich Arme und Beine wäscht und Wasser für die Pflanzen mitnimmt.
Pierre ist ein französischer Künstler, den es mit 25 Jahren nach Brasilien verschlagen hat. Er entschied zu bleiben, lebt mittlerweile seit mehr als 40 Jahren hier und hat sich zum Lebenskünstler entwickelt. Nicht bei bester Gesundheit, versteht er viel von Heilpflanzen und -kräutern und lehnt die Schulmedizin ab. Mir gibt er für eine nicht heilende Wunde Pau tenente. Es sind bitter schmeckende Holzspäne und sie helfen tatsächlich. Vor zehn Jahren hat er seinen treuen Gefährten, seinen Hund Bidi verloren. Er erzählt uns, dass er ihn begraben hat und ihn ein Jahr später, als er die Knochen ausgraben wollte, unversehrt in der Erde vorfand. Deshalb ist er überzeugt, dass Bidi ein heiliger Hund war. Über unsere Gesellschaft scheint Pierre sich zu freuen und verwöhnt uns mit allerlei Leckereien.
Größere Ausflüge unternehmen wir ohne Pierre: So schauen wir uns das historische Zentrum Pelourinho an. In den 1980-er Jahren noch geprägt von Kriminalität, Drogenhandel und Rotlichtszene, ist es mittlerweile renoviert und aufgepeppt durch Boutiquen, Restaurants und Pousadas (Pensionen). Auch hier stoßen wir wieder auf viele Kirchen, von denen wir uns einige von innen anschauen. Besonders interessant finden wir die Symbiose von katholischer Religion und Candomblé.
Vom Strandviertel Barra sind wir eher enttäuscht. Der Strand ist voll, laut und man kann wegen der vielen Felsen kaum schwimmen, sondern nur ein Stehbad nehmen. Interessant ist hier allerdings der Leuchtturm, den wir erklimmen und die kleine Ausstellung über den brasilianischen Robin Hood Lampião, der mit seiner Gefährtin Maria Bonita und seiner Banditentruppe, den cangaceiros den Sertão im Nordosten Brasiliens unsicher machte.
Ein weiterer Ausflug führt uns zum Mercado São Joaquim, den Pierre als „Afrika“ bezeichnet. Hier kann man alles, was kreucht und fleucht, ganz oder in Einzelteilen erwerben. Von dort gehen wir zur für die Bahianer wichtigste Kirche Igreja do Bonfim und weiter ins Strandviertel Ribeira. Auch hier ist der Strand voll, aber sehr viel schöner. Da es nur Sandboden gibt, gibt es nur niedrige Häuser.
Und schon ist er da, der letzte Tag des Jahres und wir fragen uns, wo die Zeit geblieben ist. Also gehen wir den Tag ganz entspannt an. Nach dem morgendlichen Schwimmen mit Pierre und einem ausgiebigen Frühstück fahren wir noch einmal zur Kirche Igreja do Bonfim. Da die Brasilianer Silvester in weiß gekleidet feiern, haben wir uns auch in weiße Schale geworfen, stellen aber an der Kirche angekommen, fest, dass wir die einzigen in weiß gekleideten sind. Roland ist sich aber sicher, dass wir soeben eine neue Tradition gestartet haben und ab dem nächsten Jahr bestimmt alle schon mittags in weiß herumlaufen werden. Wir lassen uns jedenfalls nicht beirren, kaufen Fitinhas (bunte Bändchen), binden welche am Kirchentor und um unsere Handgelenke – Pro Knoten hat man einen Wunsch frei. – und lassen uns für ein kleines Entgelt von bahianischen Priestern abstauben und mit Gesundheit und Liebe berieseln. Den Nachmittag verbringen wir bei frisch gebackenem Schokocroissant und sehr gutem Kaffee in einem Café im Pelourinho. Dann schlendern wir zurück in unsere Unterkunft, um das neue Jahr gemeinsam mit Pierre von unserer Dachterrasse aus zu begrüßen.
Noch im Bann dieses mystischen Ortes, den wir ausgerechnet während der Rauhnächte besucht haben, der Nächte des Übergangs, der Zeit zwischen den Jahren, von der es heißt, dass dann die Tore zu anderen Welten besonders weit geöffnet sind, fliegen wir weiter nach Südafrika.
Unser Lieblingsessen: von Pierre gebackene Crepes.
Unser Lieblingsdrink: Rotwein Carmenére und die von Roland gemixten Caipirinhas.
Verwendeter Reiseführer: Stefan Loose – Brasilien. 2017.
Ein durchaus nützlicher Ratgeber.
Lieber Herr Schmid,
Pelourinho ist ein sehr interessantes Viertel, und der Ausblick aus dem Appartement ist fantastisch. Vom Zimmer aus aufs Meer zu blicken ist das Schönste. Ich werde es mir auch bald gönnen – an der Ostsee Ende Februar. Ihr weißer Anzug steht Ihnen gut, sollten Sie öfter tragen.
Herzliche Grüße
Jürgen Müller
Lieber Herr Müller,
es muss auch nicht immer eine Weltreise sein. An der Ostsee wird es sicher wieder sehr schön. Ich war nur einmal dort, als ich über Danzig in die Masuren reiste.
Mittlerweile sind wir im entspannten Kapstadt angekommen und genießen hier das milde Klima und die Vorzüge dieser Stadt mit Strandpromenade, Meer, Bergen, südafrikanischem Wein und gutem Essen.
Viele Grüße,
Roland Schmid
¡¡¡ Latinoamérica en la vivacidad de sus colores, expresiones, impresiones multiculturales y míticas y la luz por todas partes – increíble.!!!
Gracias por dejarme participar
Liebe Mechthild,
wie schön, dass dir unser Blog so gut gefällt!
Vielen Dank für die inspirierenden Kommentare!
Herzliche Grüße.
Tanja